Dänemark verweigert wegen Mangels an Beweisen Auslieferung von Achmed Sakajew an Russland
4. Dezember 2002Köln, 3.12.2002, DW-radio / Russisch
Dänemark hat den russischen Antrag auf Auslieferung des Vizepremiers von Itschkerija Achmed Sakajew, dem Russland die Beteiligung an der Planung von Terroranschlägen vorwirft, abgelehnt. Einzelheiten von unserem Korrespondenten Boris Wajl:
Der Justizminister Dänemarks teilte mit, dass Achmed Sakajew auf freiem Fuß ist und reisen kann, wohin er will. (...) Das Justizministerium Dänemarks ist der Ansicht, dass das Material - unter anderem die Zeugenaussagen -, das von der russischen Staatsanwaltschaft vorgelegt wurde, für eine Auslieferung von Sakajew nicht ausreicht.
Sakajew war in der Nacht zum 30. Oktober nach dem internationalen Tschetschenien-Kongress in Kopenhagen festgenommen worden. (...) (lr)
PERWYJ KANAL, russ., 3.12.2002
(...) Außenminister Igor Iwanow unterstrich, diese Entscheidung sei nicht ohne "politische Untertöne". "Wir sind damit auf keinen Fall einverstanden". "Wir wissen, welchen Lärm diejenigen in Dänemark gemacht haben, die Sakajew und die anderen Terroristen unterstützen", sagte der Minister und fügte hinzu, "sie versuchen die Sache so darzustellen, dass das Vorgehen der Terroristen nicht unter die Antiterror-Gesetze fällt".
Bei der Generalstaatsanwaltschaft heißt es, den dänischen Behörden seien keine fadenscheinigen, sondern nur konkrete und klare Beweise für die Schuld von Achmad Sakajew vorgelegt worden. Die Entscheidung der dänischen Seite, so ein Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft, macht es Sakajew möglich, sich der Verantwortung zu entziehen. Die Staatsanwaltschaft Russlands wolle Achmed Sakajew jedenfalls weiter verfolgen und um seine Auslieferung kämpfen. (lr)
INTERFAX, russ., 4.12.2002
Der Justizminister Russlands Jurij Tschajka behuptet nach wie vor, dass die Entscheidung der dänischen Behörden, einen der Anführer der tschetschenischen Kämpfer, Achmed Sakajew, nicht auszuliefern, politischen Hintergrund hat. "Ich bin der Meinung, dass diese Entscheidung politisch motiviert ist", erklärte Jurij Tschajka am Mittwoch (4.12.) vor Journalisten. "Meiner Ansicht nach ist die Generalstaatsanwaltschaft Russlands allen Forderungen nachgekommen, die die dänische Seite stellte (...)", sagte der Justizminister. (...) (lr)
INTERFAX, russ., 3.12.2002
Russland hat vor, sich wegen der Weigerung Dänemarks, einen der Anführer der tschetschenischen Kämpfer, Achmed Sakajew, auszuliefern, an den Europäischen Gerichtshof wenden, erklärte der Leiter der Abteilung Internationales Recht bei der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation, Robert Adelchanjan, vor Journalisten.
"Da wir nicht die Möglichkeit haben, Berufung gegen den Beschluss des Justizministeriums einzulegen, diesen Beschluss jedoch als Verletzung internationaler Normen, darunter auch der europäischen Konvention über die Bekämpfung des Terrorismus, bewerten, wollen wir uns in dieser Frage an den Europäische Gerichtshof wenden", sagte der Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft. (...) (lr)
KOMMERSANT, russ., 4.12.2002, Mussa Muradow, Olga Alljenowa
(...) "(...) Unsere Forderung nach Sakajews Auslieferung ist begründet und bleibt weiterhin bestehen. Ich denke, niemand zweifelt daran, dass Sakajew ein Terrorist ist", erklärte der Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit bei der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation, Leonid Troschin.
Das zu beweisen, wird der russischen Staatsanwaltschaft jedoch äußerst schwer fallen, auch wenn ein anderes Land Achmed Sakajew festnehmen sollte. Schuld daran ist die Generalstaatsanwaltschaft selbst, die - auch nachdem sie einen internationalen Skandal eingefädelt hatte - nicht imstande war, die Umstände dieses Falles völlig zu klären. (...)
Was die Generalstaatsanwaltschaft nicht beweisen konnte
Die Generalstaatsanwaltschaft Russlands erhebt gegen Achmed Sakajew Beschuldigungen nach den zehn härtesten Artikeln des Strafgesetzbuches, darunter Mord, Banditentum und Geiselnahme. Dänemark ist jedoch der Ansicht, dass das nicht bewiesen wurde.
Der erste Anklagepunkt - "aktive Teilnahme von Achmed Sakajew an der Bildung bewaffneter Gruppen (Banden), von denen er eine mit dem Namen "Südwestliche Front" leitete." In der Anklageschrift wird aber keine einzige Person genannt, die diese Information bestätigen könnte.
Ein weiteres Verbrechen, dessen Herr Sakajew beschuldigt wird, fällt in den Dezember 1995. Die Ermittler behaupten, dass "die Bande, an deren Spitze Sakajew A. und Gelajew R. standen ... einige administrative Gebäude in der Siedlung Urus-Martan in der Tschetschenischen Republik in ihre Gewalt brachte und über 14 Tage lang besetzt hielt ... Auf Sakajews Befehl wurden von Bandenmitgliedern ... die Einwohner Ajubow A. und Wagapow W. ermordet ..." Dafür wird Achmed Sakajew des Terrorismus und des Mordes an zwei und mehr Personen beschuldigt. Aber auch in diesem Fall gibt es keinen einzigen Zeugen, der die Teilnahme des Herrn Sakajew an dem Vorfall in Urus-Martan bestätigen könnte.
Der wichtigste Anklagepunkt ist die Entführung von zwei orthodoxen Geistlichen. Die Ermittler behaupten, dass Achmed Sakajew diese Entführung gemeinsam mit dem Militärstaatsanwalt von Itschkerija Magomed Dschanijew und dem Präsidenten von Itschkerija Jandarbijew organisiert hat. In der Untersuchungsakte heißt es, Herr Dschanijew sei noch am Leben. Tatsächlich ist er jedoch bereits 1996 ums Leben gekommen, zusammen mit Präsident Dudajew. Berücksichtigt man die Tatsache, dass Staatsanwalt Dschanijew nicht mehr am Leben und Selimchan Jandarbijew nicht zugänglich ist, hätte als einziger Zeuge der Anklage der am Leben gebliebene und aus der Gefangenschaft befreite Geistliche Sergej Schigulin auftreten können. Die Ermittler haben aber auch hier einen Fehler gemacht: In der ursprünglichen Anklageschrift, die nach Kopenhagen entsandt wurde, heißt es, Herr Schigulin sei in der Gefangenschaft ums Leben gekommen. Nachdem die Medien berichteten, dass Herr Schigulin am Leben und wohl auf ist, wurde eine entsprechende Änderung an Dänemark weitergeleitet, was die Inkompetenz der Ermittler nur bestätigte. Außerdem sagte Sergej Schigulin lediglich aus, dass er unter den Entführern nur den Leibwächter von Achmed Sakajew gesehen habe. Anfänglich behauptete er, vom Feldkommandeur Doku Machajew festgenommen worden sein. Dieser kam jedoch 1996 ums Leben und wird in der Anlageschrift überhaupt nicht erwähnt. (lr)