China und Thailand gemeinsam gegen Telefon-Betrug
6. Februar 2025Wer von Deutschland aus seinen Gesprächspartner in China anruft, klingelt es im Fernost womöglich gar nicht. "Der Anrufer befindet sich im Ausland", informiert der chinesische Telekommunikationsanbieter China Mobile den Angerufenen per SMS, bevor die Verbindung überhaupt hergestellt wird. "Bitte seien Sie aufmerksam, um mögliches Risiko zu vermeiden."
Die Videokonferenz-App Microsoft Teams in China ist noch deutlicher, was das Risiko sein könnte: "Sollte Sie ein Unbekannter zur Videokonferenz einladen, schützen Sie sich vor möglichem Betrug." Betroffene mögen bitte Verdachtsfälle bei Microsoft direkt anzeigen.
Das Reich der Mitte hat ein mächtiges Problem. Massenhafte Telefon- und Online-Betrugsfälle erschüttern die Fundamente der propagierten sozialistischen Moral der Harmonie und Ehrlichkeit. Nach der flächendeckenden Einführung des Mobile Payments und Installation der Überwachungskameras in jeder Ecke werden kaum noch Diebstahl- und Raubdelikte angezeigt. In der virtuellen Welt explodiert allerdings das professionelle Cybercrime.
An Bushaltestellen, in U-Bahn-Stationen und großen Schaufenstern wird deswegen vor Betrug gewarnt. In zahlreichen Radio- und TV-Talkshows beschreiben Kriminalpolizisten, wie solche Tricks funktionieren: Betrug mit unseriösen Geldanlagen, mit der vermeintlichen Liebe oder der Identitätsdiebstahl, um die weitverbreiteten Zahlungsapps im Smartphone zu hacken.
Sogar die Münchner Polizei im deutschen Bundesland Bayern warnte Ende Januar 2025 vor organisiertem Callcenterbetrug. Gezielt würden "asiatische Personen, insbesondere Studierende mit chinesischer Staatsangehörigkeit, über Telefon oder Messenger-Dienste von meist chinesisch sprechenden Tätern kontaktiert. Diese Betrugsfälle fallen durch extrem hohe Schadenssummen auf."
Schauspieler wurde Opfer des Menschenhandels
Anfang des Jahres schlug das Abenteuer des B-Promis Wang Xing der chinesischen Öffentlichkeit aufs Gemüt. Der 31-jährige Schauspieler fuhr am 2. Januar nach Thailand, angeblich zu einem Casting, bevor er am Folgetag im wahrsten Sinne des Wortes vom Bildschirm verschwand. Seine Familie erstattete Vermisstenanzeige bei der Polizei in Shanghai, wo Wang seinen regulären Wohnsitz hat. Zeitgleich wurde in den sozialen Medien zu Suchaktionen aufgerufen.
Einige Schauspielkollegen meldeten sich sofort zu Wort und berichteten von ähnlichen "Casting-Fahrten" nach Thailand, die sich später als "Entführung" und "Zwang zu Telefonbetrug" entpuppten. Drei Tage später gelang es der Polizei in Thailand, Wang zu retten, allerdings aus dem benachbarten Myanmar. Er war illegal über den Grenzfluss Moei in die myanmarische Stadt Myawaddy gebracht worden und soll dort schon drei Tage lang zum Textbetrüger angelernt worden sein.
Myawaddy liegt im Osten Myanmars. Die Grenze zu Thailand über Moei wird de facto von der buddhistischen Miliz Karen National Army (KNA) kontrolliert. Diese finanziere sich überwiegend durch die illegalen Aktivitäten in der Stadt, die als "Zentrum der Betrugsfabriken" bekannt ist, berichten Branchenkenner. "In Myanmar befinden sich die Zentren angeblich in Shwe Kokko und anderen Orten in Myawaddy an der thailändischen Grenze entlang des Moei-Flusses", hieß es vom UN-Hochkommissariat für Menschenrechte OHCHR 2023. Ca. 120.000 Menschen würden dort gegen ihren Willen festgehalten. Schätzungsweise mehrere Milliarden US-Dollar illegale Einnahmen würden in ganz Südostasien durch Betrug erwirtschaftet. Aus dem Insiderkreis hieß es, die Drahtzieher seien chinesischer Abstammung.
Chinesen betrügen Chinesen, und Thailand leidet
Das chinesische Ministerium für öffentliche Sicherheit beschäftigt sich seit Jahren mit der Bekämpfung gewerbsmäßigen Betrugs und der Bandenkriminalität im Ausland. Nach vielen Ermittlungen verkündete es im November 2024, sämtliche Betrugsfabriken im Norden Myanmars durch grenzüberschreitende Operationen "ausgelöscht" zu haben. Die Pekinger Behörde meldete insgesamt mehr als 53.000 Festnahmen chinesischer Tatverdächtiger in einem Jahr. Aber der Fall Wang zeigt, dass sich nun die Kriminellen offenbar in den Osten von Myanmar verlagert haben. Diese Region liegt außerhalb der Kontrolle der Militärjunta in Myanmar und zieht so das Nachbarland Thailand in Mitleidenschaft.
Das südostasiatische Land mit 72 Millionen Einwohnern lebt nämlich vom Tourismus: Strand, Küche und sommerliche Temperaturen durchs ganze Jahr. Jeder fünfte Arbeitsplatz in Thailand hängt vom Fremdenverkehr ab. 2024 kamen nach offizieller Statistik 35 Millionen Touristen, die umgerechnet 45 Milliarden Euro ausgaben. Das entspricht etwa dem Bruttoinlandsprodukt des EU-Landes Lettlands oder Estlands. Allein aus dem Reich der Mitte wurden 6,7 Millionen Besucher gezählt.
Die Entführung des chinesischen Schauspielers Wang über Thailand ereignete sich zu einer denkbar schlechten Zeit. Das Frühlingsfest, das am 29. Januar begann, ist in China die Hauptreisesaison. Viele wohlhabende Familien hatten schon längst einen Familienurlaub in Thailand gebucht. Die andauernde Debatte über die Sicherheitslage dort bewegte viele dazu, die Reise nach Thailand zu stornieren. Die chinesische Botschaft in Bangkok warnte Anfang Januar vor der Falle mit angeblich hohen Verdienstmöglichkeiten. "Falschen Versprechen ist kein Glaube zu schenken. Lassen Sie sich nicht einfach über den Tisch ziehen", hieß es.
Namhafte Künstler sagen fortan ihre Shows in Thailand ab. So der Hongkonger Popstar Eason Chan, der sein für den 22. Februar in Thailand geplantes Konzert gestrichen hat. Auch der beliebteste chinesische Bühnenkomiker Zhao Benshan tritt auf seiner Welttour nach New York, Los Angeles, San Jose und Singapur nicht mehr in Bangkok auf.
Krisenmanagement mit Premierin Shinawatra
Höchste Zeit fürs Krisenmanagement auf höchster Ebene: Die thailändische Regierungschefin Paetongtarn Shinawatra reiste diese Woche nach Peking. Anlass sind 50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Thailand und China. Shinawatra schickte am Tag ihrer Abreise nach Peking direkt eine klare Botschaft mit ihrem Kabinettsbeschluss. Am Mittwoch stellte der thailändische staatseigene Energiekonzern PEA die Versorgung der myanmarischen Stadt Myawaddy samt aller verdächtigen Betrugsfabriken mit Strom, Internet und Öl ein. PEA hat mit Beschluss des Kabinetts von 1996 fünf Regionen in Myanmar versorgt, darunter auch Myawaddy. Der Lieferstopp würde einen Verlust von circa 17 Millionen Euro im Jahr verursachen.
"Sie müssen jetzt mit wenig Strom auskommen", sagt der stellvertretende Premier und Innenminister von Thailand, Anutin Charnvirakul. "Aber wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, an dem niemand Thailand beschuldigen kann, an kriminellen Handlungen beteiligt zu sein oder diese zu unterstützen." Die Menschen in Myanmar könnten trotzdem "mit anderen Quellen" ihre Stromversorgung sicherstellen, räumt Charnvirakul ein.
Peking ist die Beziehung mit dem buddhistisch geprägten Thailand stets wichtig. Thailand ist ein zuverlässiger Verbündeter im Rahmen der Pekinger Seidenstraßeninitiative. Noch diese Woche hatte die Regierung von Paetongtarn Shinawatra den Bau der chinesisch-thailändische Eisenbahnlinie durchs Land in der zweiten Bauphase genehmigt. Diese Verbindung wird nach der Fertigstellung den Zugang chinesischer Exporte in den Indischen Ozean verbessern.
Zum Anlass der großen diplomatischen Feier ließ sich Peking etwas Extravagantes einfallen und die heilige Zahnreliquie des Buddha nach Bangkok zur Ausstellung überführen - mit einem freundlichen Gruß aus dem atheistischen China. Nach dem Tod von Siddhartha Gautama im fünften Jahrhundert vor Christus wurde der Begründer des Buddhismus eingeäschert. Seine Asche und Knochen wurden anschließend aufgeteilt. Heute können die Gläubigen noch bis zum 14. Februar zur wertvollen Reliquie beten, die normalerweise in einem Pekinger Tempel aufbewahrt ist. Knapp 95 Prozent der Bevölkerung in Thailand sind Buddhisten.
"China schätzt die strengen Maßnahmen Thailands zur Bekämpfung des Onlinebetrugs", würdigt Chinas Präsident Xi Jinping im Gespräch mit Shinawatra. "China und Thailand sollten weiterhin bei Strafverfolgung, Sicherheit und Justiz zusammenarbeiten."
"China und Thailand werden die Problematik um massenhafte Betrugsfälle pragmatisch lösen, um die guten Beziehungen nicht unnötig zu belasten", wird Politologe Hunter Marston von der Australian National University in der chinesischen Presse zitiert. Einige neue Mechanismen sollen etabliert werden, wie etwa ein neues polizeiliches Koordinationszentrum gegen Onlinebetrug und eine trilaterale Beratung zwischen China, Thailand und Myanmar.
Zusätzlich zum Hauptrevier in Bangkok will China eine Niederlassung in der thailändischen Grenzstadt Mae Sot einrichten, die auf der anderen Flussseite zu Myawaddy liegt. "Dieses Zentrum in Bangkok wird mit China zusammenarbeiten, um Callcenter-Banden in Myawaddy und entlang der thailändisch-kambodschanischen Grenze zu ermitteln und zu bekämpfen", erklärt die thailändische Polizei. "Viele chinesische und thailändische Staatsangehörige sind beteiligt."