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Deutschland: Milliarden für Bundeswehr und Infrastruktur

4. März 2025

"Whatever it takes" - CDU/CSU und SPD greifen tief in die Kasse: Die Schuldenbremse soll für Militärausgaben für die Bundeswehr nicht mehr gelten. 500 Milliarden Euro sind für die marode Infrastruktur vorgesehen.

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Die Unionspolitiker Markus Söder und Friedrich Merz verkünden zusammen mit den Sozialdemokraten Lars Klingbeil und Saskia Esken (v. l.) ein historisches Finanzpaket
Die Unionspolitiker Markus Söder und Friedrich Merz verkünden zusammen mit den Sozialdemokraten Lars Klingbeil und Saskia Esken (v. l.) ein historisches FinanzpaketBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Die konservative CDU/CSU und die sozialdemokratische SPD sondieren in Berlin unter Hochdruck, ob sie miteinander regieren wollen. Das gewaltige Loch in der Staatskasse spielt dabei eine übergeordnete Rolle. Ein Kassensturz zu Beginn der Sondierungen offenbarte, dass in den nächsten vier Jahren mindestens 130 Milliarden Euro nicht durch Einnahmen im Haushalt gedeckt sein werden.

Doch das ist nicht alles. Deutsche Top-Ökonomen haben ausgerechnet, dass für die weitere Aufrüstung der Bundeswehr in den kommenden Jahren rund 400 Milliarden Euro nötig sein werden. Gleichzeitig seien bis zu 500 Milliarden Euro nötig, um die marode Infrastruktur in Deutschland - also unter anderem Straßen, Brücken und die Bahn - zu sanieren oder neu zu bauen.

Ausnahmen von der Schuldenbremse

Aus diesen Zahlen ziehen die potenziellen Koalitionäre nun Konsequenzen. Alle Verteidigungsausgaben oberhalb von einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts würden von den Beschränkungen der Schuldenbremse ausgenommen, sagte der CDU-Chef und voraussichtlich zukünftige Bundeskanzler Friedrich Merz. Als Schuldenbremse wird die im Grundgesetz verankerte Regel bezeichnet, nach der der Staat sparsam haushalten soll und nur so viel Geld ausgeben darf, wie er auch einnimmt. "Angesichts der Bedrohungen unserer Freiheit und des Friedens auf unserem Kontinent muss jetzt auch für unsere Verteidigung gelten: 'whatever it takes'", so Merz. 

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Zudem solle ein neues Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für Infrastrukturausgaben für die Dauer von zehn Jahren geschaffen werden. 100 Milliarden Euro davon sollen die Bundesländer bekommen. "Wir lösen endlich den Investitionsstau in unserem Land auf", sagte SPD-Chef Lars Klingbeil. Den Bundesländern soll es durch eine Änderung der Schuldenbremse künftig auch möglich sein, sich geringfügig zu verschulden. Das war bisher nur dem Bund möglich. Für alle soll nun gelten, dass sie Kredite in Höhe von bis zu 0,35 Prozent des Bruttosozialprodukts, also ihrer Wirtschaftsleistung, aufnehmen dürfen.

Der alte Bundestag ist gefragt

Kommende Woche wollen die Fraktionen von Union und SPD entsprechende Anträge für eine Änderung des Grundgesetzes in den Bundestag einbringen. Dafür braucht es im Parlament eine Zweidrittel-Mehrheit. Die haben Union und SPD, wenn die Grünen mitstimmen, was diese im Vorfeld signalisiert haben. 

Am 23. Februar wurde zwar ein neues Parlament gewählt, doch bis es am 25. März erstmals zusammentritt, ist der bisherige Bundestag arbeitsfähig. In der neuen Zusammensetzung wäre für eine Zweidrittel-Mehrheit entweder die Linkspartei oder die in Teilen rechtsextreme AfD nötig. Die AfD lehnt eine Änderung der Schuldenbremse ab, die Linkspartei ist gegen höhere Militärausgaben.

Sondervermögen trotz Schuldenbremse - wie ist das möglich?

Die Milliarden-Summen, die nun aufgebracht werden sollen, sind gewaltig. Um sie in Relation zu setzen: Der gesamte Bundeshaushalt belief sich 2024 auf 467 Milliarden Euro. Davon waren 25 Milliarden Euro kreditfinanziert, der Rest speiste sich aus Einnahmen aus Steuern und Abgaben. Damit erfüllte der Haushalt 2024 die Vorgaben der Schuldenbremse. 

Bundesfinanzminister Christian Lindner
Christian Lindner (FDP), bis zum Bruch der Ampel-Koalition Bundesfinanzminister, war ein vehementer Verfechter der SchuldenbremseBild: Soeren Stache/picture alliance/dpa

Sondervermögen sind Teile des staatlichen Vermögens, die aber separat vom normalen Haushalt verwaltet werden. Daher gilt für sie die Schuldenbremse nicht. Zudem müssen sie nicht jährlich neu vom Parlament bewilligt werden, sondern nur einmal mit einer Zweidrittel-Mehrheit sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat. Danach können sie über Jahre gestreckt ausgegeben werden. 

Kein Vermögen, sondern Schulden

Kritiker sprechen von Schattenhaushalten oder kreativer Haushaltsführung. Auch der Bundesrechnungshof ist kein Befürworter. 2023 befasste sich die Bundesbehörde, die die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes kontrolliert, in einem kritischen Bericht mit Sondervermögen. Darin heißt es, es sei eigentlich zutreffender, von "Sonderschulden" zu sprechen, denn es handle sich um "größtenteils ausgelagerte Schuldentöpfe".

Insgesamt zählte der Bundesrechnungshof 29 existierende Sondervermögen, von denen die ältesten aus den 1950er Jahren stammten. Tatsächlich ist die Geschichte der Sondervermögen lang. Eines der ersten speiste sich nach dem Zweiten Weltkrieg aus den Mitteln, die die USA im Rahmen des Marshallplans für den Wiederaufbau der europäischen Staaten bereitstellte. 

Aufräumarbeiten an der Carolabrücke in Dresden
Tausende Brücken in Deutschland sind marode und müssen dringend saniert werden - damit sie nicht irgendwann einstürzen wie die hier abgebildete Carolabrücke in DresdenBild: Robert Michael/dpa/picture alliance

Zu den größeren Sondervermögen gehörte der in der Finanzkrise 2008 gebildete Finanzmarktstabilisierungsfonds mit einer Kreditermächtigung von damals 90 Milliarden Euro. 2020 wurde der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) aufgelegt, um den wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Volkswirtschaft entgegenzuwirken.

Bundesverfassungsgericht engte Sondervermögen ein

Als 2021 die SPD die Bundestagswahl gewann und mit den Grünen und der FDP ein Regierungsbündnis schmiedete, spielte der WSF eine zentrale Rolle. Kreditermächtigungen über mehr als 60 Milliarden Euro waren während der Pandemie nicht gebraucht worden. Die neue Regierung beschloss, die Summe für ihre Klimapolitik zu verwenden und einfach in ein weiteres Sondervermögen, den Klima- und Transformationsfonds, umzubuchen. 

Die Unionsfraktion aus CDU/CSU im Bundestag klagte dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht. Ihre Argumentation: Die Schuldenbremse brauche eine wirkliche Bremswirkung, damit nicht immer wieder Vorratskassen angelegt und Verwendungszwecke geändert würden. Auch in Notlagen müsse klar sein, wo der Spielraum des Staates für Kreditermächtigungen ende. Das Bundesverfassungsgericht stimmte dem zu. Die umgebuchten Kreditermächtigungen erloschen. 

Bundestag: Was ist eine Sperrminorität?

100 Milliarden für die Bundeswehr sind 2027 aufgebraucht

Die beiden jüngsten Sondervermögen des Bundes wurden 2022 aufgelegt. Das erste als Konsequenz aus dem russischen Überfall auf die Ukraine. Der Bundestag bewilligte dafür einen Kreditrahmen über 100 Milliarden Euro, um die über Jahrzehnte vernachlässigte Bundeswehr wieder aufzurüsten. Doch das Geld wird 2027 aufgebraucht sein. Ein zweites Sondervermögen mit einer Kreditlinie von 200 Milliarden Euro wurde aufgelegt, um die Wirtschaft in der nachfolgenden Energiekrise zu unterstützen. 

Deutschland | Freiedrich Merz und Boris Pistorius bei einer Sitzung des Deutschen Bundestags
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD, li.) - im Gespräch mit Unions-Fraktionschef Friedrich Merz - fordert schon lange mehr Geld für die BundeswehrBild: IPON/IMAGO Images

In seinem Bericht rechnet der Bundesrechnungshof vor, dass sich allein die größeren existierenden Sondervermögen auf rund 869 Milliarden Euro summieren. Nur ein Zehntel davon basiere auf Guthaben. Das Verschuldungspotenzial der Sondervermögen habe sich Ende 2022 auf insgesamt rund 522 Milliarden Euro belaufen. Das ist rund fünfmal so viel, wie in der Haushaltsplanung von 2023 bis 2027 für Kredite vorgesehen ist, die sich im Rahmen der Schuldenbremse bewegen.

Ausgaben für Zinsen sind gewaltig

Nun kommen erhebliche weitere Schulden hinzu. Sie werden wie alle Kredite auf die Staatsverschuldung und die europäischen Schuldenregeln angerechnet. In den Mitgliedsländern der EU darf der Schuldenstand 60 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten. Wer darüber liegt, muss die Schuldenquote senken und Strafzahlungen befürchten. Länder mit Schuldenständen zwischen 60 und 90 Prozent müssen diese um 0,5 Prozentpunkte pro Jahr senken. 

Deutschlands Schuldenbremse: Ein Balanceakt

Dazu kommt, dass Kredite am Finanzmarkt aufgenommen werden, es sind also Zinsen fällig. Deutschland sitzt auf einem Schuldenberg von insgesamt 1,7 Billionen Euro, der sich über Jahrzehnte aufgebaut hat. 2024 mussten 33 Milliarden Euro im Haushalt für Zinszahlungen aufgebracht werden. Im Jahr zuvor waren es sogar 39 Milliarden Euro, weil die Zinsen wegen der Inflation gestiegen waren. 

Juristen und Wirtschaftswissenschaftler warnen bereits davor, dass zusätzliche schuldenfinanzierte Sondervermögen in extremer Höhe die Zinslasten in den kommenden Jahren weiter steigern würden. Die Haushaltslage würde sich dadurch noch weiter verschärfen und die politischen Spielräume erheblich einschränken.