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Bundestagswahl: Schwarze Deutsche hoffen auf bessere Zukunft

22. Februar 2025

Die Hoffnungen und Ängste von schwarzen Menschen in Deutschland prallen im Vorfeld der Bundestagswahl auf eine sich verändernde politische Landschaft. Die DW hat nachgefragt: Wie gehen sie mit dieser Unsicherheit um?

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Vier Personen stehen auf einem Innenhof: Kevin Machine, Furat Abdulle, Richmond Boakye, Sophie Osen Akhibi
Die Mitglieder des Afro Diasporan Academic Network (ADAN) in Frankfurt wünschen sich eine inklusivere PolitikBild: Silja Fröhlich/DW

"Wenn diese Wahlen etwas ändern könnten, wären sie nicht erlaubt", ruft ein alter Mann der DW im Vorbeigehen zu. Wir sind in Magdeburg, kurz vor der Bundestagswahl. Vor wenigen Wochen fuhr hier ein saudischer Arzt und früherer Asylbewerber mit dem Auto in eine Menschenmenge auf einem Weihnachtsmarkt und tötete sechs Menschen; 300 wurden verletzt.

Am Tatort flackern noch immer kleine Kerzen. Ein Zettel mit der Aufschrift "warum?" ist noch zu sehen. "Rassismus war schon vorher ein Thema", sagt eine junge muslimische Wählerin der DW. "Aber nach dem Anschlag ist es viel schlimmer geworden. Das tut sehr weh." Die bevorstehenden Wahlen hätten es nicht einfacher gemacht. "Die Atmosphäre in Magdeburg hat sich verändert. Es ist hasserfüllt."

Aufgewühlte Stimmung vor der Wahl

Vor der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar kochen die Emotionen im Land über. Die zentralen Themen sind Migration, Sicherheit und Wirtschaft. Laut einer Umfrage des ARD-Deutschlandtrend war eine Woche vor der Wahl noch jeder dritte deutsche Wähler unentschlossen. Die Straßen Magdeburgs sind mit Wahlkampfplakaten zugepflastert, die alle eine bessere Zukunft versprechen.

Amidou Traoré mit Mütze und Winterjacke steht vor einer Ziegelwand und spricht in ein DW-Mikrofon
Amidou Traoré arbeitet für die Caritas in MagdeburgBild: Abdoulaye Mamane Amadou/DW

Amidou Traore aus der Elfenbeinküste lebt seit 1994 in Magdeburg. Er arbeitet für das katholische Hilfs- und Entwicklungswerk Caritas, das auch Menschen mit Migrationshintergrund hilft. Seit dem Anschlag beobachtet er eine Zunahme von Übergriffen auf Migranten. "Wenn es den Menschen in ihrem eigenen Land nicht gut geht, versuchen sie immer, jemand anderem die Schuld dafür zu geben", sagt Traore und fordert, die künftige Regierung müsse eine Stimme für alle Menschen in diesem Land sein. Traore, Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), hofft auf eine bessere Situation der Migranten nach der Wahl. Und er ist nicht der Einzige.

Keine Wahrheit mehr in der Politik

Als die DW Akinola Famson am Brandenburger Tor trifft, liegt Berlin unter einer dicken Schneedecke. Der stellvertretende Leiter des Afrika-Rates, einem Verein zur Unterstützung von schwarzen Menschen in Deutschland, lebt seit 30 Jahren in Deutschland. "Was ich an diesem Land liebe, ist das auf dem Christentum basierende Wertesystem. Aber diese Werte werden nicht mehr respektiert. Es gibt keine Wahrheit mehr in der Politik. Niemand ist bereit zu helfen. Jetzt ist die Politik: Lasst uns verhandeln: Was bekomme ich, wenn ich dir helfe?" sagt Famson der DW.

Akinola Famson vom Afrika Rat Berlin vor dem Brandenburger Tor
Akinola Famson vom Afrika-Zentralrat in Berlin hofft auf mehr Einigkeit und Verständnis nach der WahlBild: Christian Murk/DW

Er bleibt jedoch zuversichtlich, dass die neuen Machthaber die Wichtigkeit verstehen werden, dass Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund in Harmonie zusammenleben. "Wir wünschen uns von der nächsten Regierung, egal wer an die Macht kommt, unsere Anwesenheit hier anzuerkennen. Die Ressourcen, die wir haben, zu nutzen, uns Raum zu geben, aktiv an der demokratischen Ordnung teilzunehmen."

Was halten Schwarze in Deutschland von der rechtsextremen AfD?

Joseph Senais, der Direktor der international tätigen NGO Street Shepherd Africa, sagt: "Dies ist eine der wichtigsten Wahlen in der deutschen Geschichte, vor allem im Hinblick auf den Aufstieg der extremen Rechten und die Probleme, mit denen Deutschland und Europa konfrontiert sind", sagt er zur DW.

Senais ist besorgt, denn die Alternative für Deutschland (AfD) flöße den Menschen Angst ein. Er habe keine Politik von der AfD gesehen, die irgendetwas bewirken würde, sagt er. "Nicht für die Deutschen, nicht für Europa, für niemanden." Der Politikwechsel sollte ein Weckruf für andere Politiker sein, sich auf die Bewältigung der Herausforderungen zu konzentrieren.

Wahlplakate für die kommende Bundestagswahl in einer Fußgängerzone
Noch eine Woche vor der Wahl waren viele Wähler unentschieden - um sie werben Plakate wie hier im mitteldeutschen ErfurtBild: Karina Hessland/REUTERS

Doch nicht alle Menschen in Deutschland sehen das so. So glaubt Josephine-Renee, die lieber nur mit ihrem Vornamen zitiert werden will, die AfD könne etwas bewirken. Die junge Mutter mit ghanaischen Wurzeln ist frustriert darüber, wie sich Deutschland in den letzten Jahren entwickelt hat. "Viele der liberalen Parteien hatten genug Zeit, um etwas zu bewegen, etwas zu verändern und ihre Versprechen zu halten", sagt sie der DW. "Das haben sie nicht geschafft."

Josephine-Renee betreibt das Blog The New Eve. Sie sei bereit für echte Veränderungen und sich denjenigen zu stellen, die sie wegen ihrer konservativen politischen Ansichten kritisieren. "Das ist mir völlig egal. Die Leute erwarten von mir, dass ich liberal wähle, weil ich eine schwarze Frau bin." Das würde sie aber nie tun.

Das heiße Thema: Migration

Eine Reihe von Themen liegen ihr am Herzen: Die hohen Lebenshaltungskosten, die Umwelt, gute Bildung, Feminismus und die Transgender-Bewegung. "Ich lebe gerne in Deutschland. Ich möchte mich um das Land kümmern, in dem ich lebe." Für sie bedeutet das, die Art und Weise, wie Politik gemacht wird, radikal zu ändern, auch in der Frage der Einwanderung.

Ihr Großvater kam als Teenager nach Deutschland, studierte und ist Arzt geworden, erzählt Josephine-Renee: "Menschen wie er haben hart gearbeitet, um sich ein gewisses Maß an Respekt zu verschaffen, das ihnen jetzt genommen wird." Statt respektiert zu werden, würden Einwanderer nunmehr in gut und schlecht unterteilt. "Im Moment überwiegen die schlechten Einwanderer", meint Josephine-Renee.

Die AfD-Vorsitzende Weidel vor der Deutschlandfahne bei einer Pressekonferenz
Die AfD darf auf den zweiten Platz hoffen: Laut Umfragen können sich rund 20 Prozent der Wähler vorstellen, für die in Teilen als rechtsextrem eingestufte Partei von Alice Weidel zu stimmenBild: Attila Kisbenedek/AFP/Getty Images

Nach einer neuen Studie des Münchner Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung führt ein steigender Ausländeranteil nicht zu einer höheren Kriminalitätsrate. Fekade Bekele, Entwicklungs- und Wirtschaftsexperte aus der äthiopischen Gemeinde Berlins, findet das Gerede über Migrationsfragen sei "eine Art Kampagne, um so viele Wähler wie möglich zu gewinnen".

Migranten müssten die Integration ernst nehmen, betont er. "Wenn man Freundschaften aufbaut, wird diese Art von Feindseligkeit abgebaut", betont Fekade. "Wir müssen das Gefühl haben, ein Teil dieser Gesellschaft zu sein. Und manche Zuwanderer versuchen leider nicht, die Sprache zu lernen und sich in diese Gesellschaft zu integrieren."

Schwarze Deutsche für die Politik begeistern

In Frankfurt kleben an jeder Ecke Wahlkampfplakate für Armand Zorn. Der SPD-Politiker tritt bei den kommenden Wahlen an. Der gebürtige Kameruner ist mit 12 Jahren nach Deutschland eingewandert und sitzt seit 2021 im Bundestag.

Er kennt die Hoffnungen und Sorgen, die viele in der afrikanischen Diaspora haben, und er versucht, mehr junge schwarze Deutsche für die Politik zu begeistern. Deutschland habe "eines der besten politischen Systeme", sagt er und ist dennoch besorgt über den Rechtsruck.

Armand Zorn am Straßenrand, neben einem Wahlplakat mit seinem Porträt
Der aus Kamerun stammende Politiker Armand Zorn hofft, mit der SPD wieder in den Bundestag einzuziehenBild: Christian Murk/DW

"Bis vor kurzem basierte die Politik in Deutschland immer darauf, dass verschiedene politische Parteien zusammenarbeiten, unterschiedliche Perspektiven und Meinungen haben - aber einen Kompromiss finden und sicherstellen, dass das Land auf dem richtigen Weg vorankommt", sagt er und warnt vor einer zunehmenden Polarisierung in Deutschland.

Die Wähler der schwarzen Gemeinschaft in Frankfurt teilen ähnliche Sorgen. In der Innenstadt der Finanzmetropole trifft die DW Furat Abdulle, Richmond Boakye und Sophie Osen Akhibi, Mitglieder des Afro Diasporisches Akademisches Netzwerk (ADAN). Boyake sagt, er könne sich nicht emotional distanzieren: "Ich glaube, der Diskurs hat sich so sehr verschoben, dass wir wirklich anfangen, 'Othering' [Personen oder Gruppen als "Anders" zu definieren, um in Abgrenzung dazu zu bestärken, dass man selbst einer vermeintlichen Norm entspricht - Anm. d. Red.] als normal ansehen. Und das ist sehr gefährlich für Menschen, die aussehen wie wir."

Gemeinsam versuchen die ADAN-Mitglieder, die Bedürfnisse, Wünsche und Hoffnungen der afrikanischen Diaspora und der Deutschen mit afrikanischem Hintergrund zu beleuchten. Abdulle formuliert Wünsche an ein inklusives "Deutschland 2.0": "Wenn es denen, die am wenigsten privilegiert sind, gut geht, dann geht es allen gut."

Osen Akhibi bringt die Gedanken vieler schwarzer Deutscher auf den Punkt. "Ich würde mir wünschen, dass wir zusammenarbeiten und von dieser Konfliktkultur wegkommen."

Dieser Artikel wurde zuvor auf Englisch veröffentlicht.

Silja Fröhlich
Silja Fröhlich Redakteurin, Reporterin und Moderatorin