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Bundestagswahl: Kirche zwischen Politik und Gesellschaft

14. Februar 2025

Die christlichen Kirchen in Deutschland sorgen sich um den gesellschaftlichen Zusammenhalt und spüren selbst zunehmend Gegenwind. Das hat nicht nur mit der AfD zu tun.

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Auf dem Kuppeldach des Berliner Doms thronen zwei christliche Kreuze. Das höher gelegene ist schlicht und goldfarben, das weiter unten platzierte hat zahlreiche Ornamente in den Farben Gold und Grün.
Die christlichen Kirchen liegen zurzeit mit den Unionsparteien CDU und CSU wegen ihres Umgangs mit der AfD über Kreuz (Symbolbild) Bild: Paul Zinken/dpa/picture alliance

Die Wellen schlagen immer noch hoch: Ende Januar haben die Christlich-Demokratische Union (CDU), ihre bayrische Schwesterpartei CSU (Christlich-Soziale Union), Freie Demokraten (FDP) und die teilweise rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) im Bundestag gemeinsam für eine deutlich strengere Asylpolitik gestimmt.

Vor einem solchen Schulterschluss hatten die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die katholische Deutsche Bischofskonferenz in einem gemeinsamen Brief an alle Abgeordneten eindringlich gewarnt. Das Schreiben stammte von Prälatin Anne Gidion und Prälat Karl Jüsten. Sie leiten die Verbindungsbüros der evangelischen beziehungsweise der katholischen Kirche zur Bundespolitik in Berlin. Ihr Wort hat also Gewicht, wenn die beiden in der deutschen Hauptstadt ihre Stimme erheben.

Ist die Demokratie beschädigt worden?

Trotzdem stieß ihre Warnung bei Union und FDP auf taube Ohren. Zwar sind laut Umfragen bis zu zwei Drittel der Bevölkerung für eine verschärfte Asylpolitik, aber gleichzeitig hält die Hälfte gemeinsame Abstimmungen mit der AfD für falsch. Bei ihnen sorgte die gemeinsame Abstimmung mit der AfD für große Empörung . Auch Gidion und Jüsten hatten vergeblich daran erinnert, dass sich die Bundestagsfraktionen nach dem Bruch der sogenannten Ampel-Koalition unter Führung der Sozialdemokraten (SPD) darauf verständigt hatten, bei Abstimmungen keine Mehrheiten mit der AfD in Kauf zu nehmen. "Wir befürchten, dass die deutsche Demokratie massiven Schaden nimmt, wenn dieses politische Versprechen aufgegeben wird", betonte das kirchliche Spitzen-Duo.

Mehrere tausend Menschen protestieren mit bunten Plakaten vor dem Reichstagsgebäude in Berlin gegen die gemeinsame Zustimmung von CDU/CSU, FDP und AfD für eine verschärfte Asylpolitik. Auf den Plakaten stehen Parolen wie "Nie wieder ist jetzt" oder "Wir sind das Volk". Vor dem Reichstag, dem Sitz des Deutschen Parlaments, und auf den Türmen des Bauwerks aus dem 19. Jahrhundert wehen Deutschland-Fahnen in den horizontal angeordneten Farben Schwarz, Rot und Gold.
Deutschlandweit protestierten, wie hier vor dem Berliner Reichstagsgebäude, mehrere hunderttausend Menschen gegen die gemeinsame Zustimmung von CDU/CSU, FDP und AfD für eine verschärfte Asylpolitik Bild: Christian Mang/Reuters

Die Spannungen insbesondere zwischen Kirchen und Unionsparteien sind auch kurz vor der Bundestagswahl am 23. Februar spürbar. Der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Markus Söder mutmaßte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), Gidions und Jüstens Brief sei unabgestimmt gewesen. Mehrere Bischöfe und viele Gläubige hätten sich davon distanziert. Söder, der evangelisch ist, betonte zugleich: "Die Kritik nehmen wir an, aber umgekehrt müssen wir auch unsere Meinung sagen dürfen – auch ich als gläubiger Christ."

CSU wirft Kirchen einen "Kardinalfehler" vor

Noch deutlicher wurde der CSU-Vorsitzende im Bayerischen Landtag, Klaus Holetschek: "Fragen der Tagespolitik gehören in einer Demokratie ins Parlament, nicht in die Predigt", wetterte er im Gespräch mit der "Augsburger Allgemeinen Zeitung". Die von der Evangelischen Kirche und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz geäußerte Kritik am Kurs von Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz sei ein "Kardinalfehler", also ein grundlegender Fehler.

Dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte der Katholik Holetschek, wenn sich die Kirchen kurz vor einer Bundestagswahl bei gesellschaftlich hochkontroversen Debatten klar auf eine Seite schlügen, habe er kein gutes Gefühl. Er sehe die "zentralen Kompetenzen" der Kirchen darin, der Gesellschaft ein christliches Fundament zu geben.

Die Kirche betont den Schutz der Menschenwürde

Die EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs verteidigte das Vorpreschen der Kirchen bei zentralen Themen wie Migration und Demokratie. Dazu habe man klare Positionen. Mit Blick auf die schon in ihren Namen christlich geprägten Parteien CDU und CSU (das C ist die Abkürzung für Christlich) verwies sie auf eine lange Tradition: "Die Verbindung ist geprägt von gemeinsamen Grundüberzeugungen wie Schutz der Menschenwürde oder auch Bewahrung der Schöpfung", sagte Fehrs auf einer Pressekonferenz in Berlin.

Kirche und die Rechten

Anlass war eine gemeinsam mit der evangelischen Diakonie in Auftrag gegebene Studie zur Stimmungslage der Gesellschaft in Deutschland. Dazu hatte das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Dezember 2000 Personen ab 18 Jahren befragt. Das online ermittelte Ergebnis bezeichnete Fehrs als alarmierend: "Die meisten Menschen in unserem Land spüren eine Spaltung. Und viele ziehen sich in ihre Blasen zurück."

Angst vor freier Meinungsäußerung?

Die Folgen sind der Studie zufolge gravierend: Mehr als die Hälfte (51 Prozent) gab an, sich nicht mehr frei äußern zu können, ohne Ärger zu bekommen. Fast ein Drittel (32 Prozent) hat sich demnach wegen umstrittener Themen von anderen distanziert oder sogar den Kontakt abgebrochen. Ein Blick auf das sogenannte Sorgenbarometer zeigt, dass die Angst vor immer mehr Hass, Feindseligkeit und gesellschaftlichen Konflikten besonders groß ist.

Um der weit verbreiteten Sprachlosigkeit etwas entgegenzusetzen, wollen Kirche und Diakonie ihre Räumlichkeiten nun als "Verständigungsorte" anbieten. Dabei sollen sich Menschen mit unterschiedlichsten Meinungen gegenseitig zuhören. Auch jene, die mit der AfD sympathisieren oder sie wählen, seien willkommen.

Keine grenzenlose Toleranz gegenüber der AfD

Skeptisch ist EKD-Ratspräsidentin Kirsten Fehrs allerdings gegenüber Mandatsträgern der Partei, weil die AfD rechtsextreme und völkisch-nationale Positionen vertrete. Beide christliche Kirchen haben sich bereits 2024 in öffentlichen Erklärungen von der Rechtsaußen-Partei distanziert: "Wir ziehen die gemeinsame Konsequenz, vor der Wahl rechtsextremer Parteien einschließlich der AfD zu warnen, weil sie Minderheiten ausgrenzen und die Demokratie gefährden", sagte Fehrs damals.

Wann und wo Menschen über Gott und die Welt ins Gespräch kommen können, ist fortlaufend im Internet unter dem Schlagwort "Verständigungsorte" recherchierbar. Außerdem sind sechs größere Dialogforen geplant. Der Auftakt findet im Beisein von Bischöfin Fehrs am 17. Februar in Hanau statt. In der östlich von Frankfurt am Main gelegenen Stadt hat ein Rechtsextremist 2020 neun Menschen mit migrantischen Wurzeln ermordet. In der Gesprächsrunde soll es darum gehen, welche Lehren aus diesem rassistisch motivierten Attentat gezogen wurden.  

 

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland