Darf der abgewählte Bundestag die Schuldenbremse lockern?
12. März 2025In dieser Geschichte gibt es viele Menschen, die am 25. März von der größten politischen Bühne abtreten werden: dem Deutschen Bundestag. An diesem Tag endet ihre Zeit als Abgeordnete, weil das neue Parlament zusammentritt. Die Fraktionen der noch geschäftsführenden Regierungsparteien werden dann viel kleiner sein, weil Sozialdemokraten (SPD) und Grüne bei der Bundestagswahl am 23. Februar starke Verluste hinnehmen mussten.
Gedanklich waren die Abgewählten schon längst weg, nachdem Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) am 11. Februar die vermeintlich letzte Sitzung des alten Parlaments beendet hatte: "Wir sind am Schluss der heutigen Sitzung und damit auch am Ende einer außergewöhnlichen Wahlperiode", sagte sie damals. Außergewöhnlich war sie vor allem deshalb, weil die Koalition aus SPD, Grünen und Freien Demokraten (FDP) im November 2024 frühzeitig zerbrochen war.
Vor diesem Hintergrund verabschiedete Bas ihre Kolleginnen und Kollegen aufmunternd mit einem "Glückauf!". Sie wünschte ihnen also alles Gute – in dem Glauben, sich in dieser Zusammensetzung das letzte Mal gesehen zu haben.
Die Grünen sind das Zünglein an der Waage
Niemand konnte ahnen, auf welche Gedanken die SPD und die Unionsparteien CDU/CSU zwecks Bildung einer gemeinsamen Koalition kommen würden: den zwar abgewählten, aber laut Verfassung noch handlungsfähigen Bundestag für Sondersitzungen einberufen zu lassen.
Während die Verhandlungen über eine neue Regierung gerade erst begonnen haben, soll das alte Parlament schnell noch die in der Verfassung festgeschriebene Schuldenbremse lockern. So könnte der Weg freigemacht werden, um deutlich mehr Geld ins Militär zu stecken und mit einem sogenannten Sondervermögen von 500 Milliarden Euro die marode Infrastruktur flott zu kriegen.
Das Problem: Für diese Pläne ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Davon aber sind SPD und Union im neuen Bundestag weit entfernt. Zusammen mit den Grünen wäre es rechnerisch aufgrund der Mehrheitsverhältnisse aber im alten Bundestag möglich, das Grundgesetz zu ändern. Ob es dazu kommt, ist offen. Die Grünen sind noch Teil der geschäftsführenden Regierung, stellen sich aber nach der Schlappe bei der Bundestagswahl mit nur 11,6 Prozent schon auf ihre künftige Rolle in der Opposition ein.
Politologe: "Man kann von Wählertäuschung sprechen"
Die Neigung, politischen Kontrahenten ohne Gegenleistung aus der Patsche zu helfen, ist erkennbar gering. Zumal die Unionsparteien und ihr Kanzlerkandidat Friedrich Merz eine von Grünen, SPD und Linken schon lange geforderte Lockerung der Schuldenbremse immer kategorisch ausgeschlossen haben. Der Politikwissenschaftler Hans Vorländer attestiert der Union deshalb, unglaubwürdig zu sein.
"Wenn CDU und CSU etwas vor der Wahl ausschließen, damit Wahlkampf machen und sich dann innerhalb von einer Woche nach der Wahl nicht mehr daran gebunden fühlen, kann man von Wählertäuschung sprechen", sagte der Direktor des Dresdener Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Besonders kritisch sei, dass mit einer Verfassungsänderung eine Bindungswirkung für die kommende Regierung geschaffen werde. Also ein Vorgriff auf das Programm für eine Regierung, die noch gar nicht existiere, betont Vorländer. Zugleich differenziert er zwischen den geplanten Schulden für zwei unterschiedliche Bereiche: Militär und Infrastruktur.
Der US-amerikanische Strategiewechsel im Ukraine-Krieg unter Präsident Donald Trump und der damit mögliche Bruch der transatlantischen Sicherheitspartnerschaft erzeuge Handlungsdruck. Hingegen sei das Problem der maroden Infrastruktur lange bekannt, weshalb Vorländer einen schnellen Beschluss im alten Bundestag nicht für zwingend hält.
Verfassungsexperte: "Sondervermögen verleiten zu uferlosen Ausgaben"
Ähnlich beurteilt der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, die von Union und SPD beabsichtigten Maßnahmen. Beim verabredeten Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur werde die politische Rechtfertigung besonders schwierig, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Dem riesigen Nachholbedarf in diesem Bereich hätte der Staat deutlich früher begegnen müssen.
Man habe es seit Jahren mit einem enormen Staatsversagen zu tun. Das räche sich jetzt. "Deshalb sollen wir diese atemberaubenden Ermächtigungen zum Schuldenmachen ins Grundgesetz nehmen", sagte Papier. "Sondervermögen verleiten zu uferlosen Ausgaben und zu einer Aufblähung des Staatsapparats."
Rein verfassungsrechtlich betrachtet wäre aus seiner Perspektive allerdings nichts zu beanstanden: "Juristisch habe ich überhaupt keine Bedenken, wenn eine Reform der Schuldenbremse mit den alten Mehrheiten beschlossen wird", sagte Papier unter Verweis auf Artikel 39 des Grundgesetzes. Demnach endet die Wahlperiode mit dem Zusammentritt des neuen Parlaments "Der jetzt amtierende Bundestag ist also noch in vollem Umfang demokratisch legitimiert."
Künftige Generationen werden belastet
Daran hat auch der Demokratieforscher Hans Vorländer keine Zweifel. Der Bundestag sei souverän, könne tun und lassen, was er wolle. Trotzdem gibt er zu bedenken: "Unter verfassungsrechtlichen und demokratiepolitischen Gesichtspunkten werden hier aber in unzulässiger Weise nachfolgende Generationen belastet."
Beim Bundesverfassungsgericht sind bereits mehrere Klagen der Alternative für Deutschland (AfD) und der Linken eingegangen. Beide Parteien haben bei der Bundestagswahl am 23. Februar ihre Ergebnisse deutlich verbessert und können mit ihren Stimmen im künftigen Parlament Verfassungsänderungen blockieren.
AfD und Linke sind sich einig
"Es ist eine Missachtung der Wählerinnen und Wähler und juristisch fragwürdig, jetzt nochmal den alten Bundestag einzuberufen, nur weil Union und SPD die Mehrheiten im neuen nicht passen", meint der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken, Christian Görke. Sein AfD-Pendant Stephan Brandner bläst ins gleiche Horn: "Solche Entscheidungen kann und darf nur der neu gewählte Bundestag treffen", fordert er in Bezug auf die beabsichtigte Änderung des Grundgesetzes.
Derweil hat die Präsidentin des alten Bundestags, Bärbel Bas, zur ersten Sondersitzung am 13. März eingeladen. Vielleicht erinnern sich einige der Abgeordneten an die Worte, die Bas in ihrer vermeintlich letzten Rede als Parlamentspräsidentin gesprochen hat: "Dieses Land hat schon viele Herausforderungen erfolgreich gemeistert. Es liegt nicht zuletzt an uns, den Abgeordneten des Deutschen Bundestags, das Vertrauen in die freiheitliche Demokratie zu stärken."