Bundestag: Debatte um AfD-Verbot erhitzt die Gemüter
30. Januar 2025733 Abgeordnete hat der Deutsche Bundestag, 124 von ihnen sind fraktionsübergreifend für einen AfD-Verbotsantrag vor dem höchsten deutschen Gericht in Karlsruhe. Einen solchen Antrag stellen könnten drei Verfassungsorgane: Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung. Aber nirgends zeichnet sich im Moment eine Mehrheit dafür ab, ein Verbotsverfahren auf den Weg zu bringen.
Das wussten auch die Abgeordneten, die sich seit Monaten erfolglos darum bemüht haben. Trotzdem wollten sie in der letzten Sitzungswoche des Parlaments vor der Bundestagswahl am 23. Februar ein Zeichen setzen – in Form einer Aussprache ohne Abstimmung. Treibende Kraft war Marco Wanderwitz. Der Christdemokrat (CDU) eröffnete eine von der ersten Minute an emotionsgeladene Debatte.
AfD: "Eine Herzen vergiftende, Hass und Hetze säende Partei"
"Sie sind Verfassungsfeinde, Sie sind Feinde unserer Demokratie, Sie sind Menschenfeinde", sagte er und blickte dabei immer wieder nach rechts. Dort sitzen vom Rednerpult aus gesehen die Abgeordneten der Alternative für Deutschland. "Die AfD ist eine Herzen vergiftende, Hass und Hetze säende Partei", fügte Wanderwitz hinzu.
Die Sozialdemokratin (SPD) Carmen Wegge warf der AfD Verstrickungen mit terroristischen und gewaltbereiten Gruppen vor. Als Beispiel nannte sie unter anderem den Kreis um Heinrich Prinz Reuss, der vom Generalbundesanwalt wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung angeklagt wurde. Seine Gruppierung hatte geplant, sich an die Macht zu putschen und das demokratische System in Deutschland zu stürzen. Seit 2024 findet in Frankfurt am Main der Prozess statt. Angeklagt ist auch eine ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete.
Ein rechtsextremistisches Treffen in Potsdam
Außerdem erwähnte Wegge ein Anfang 2024 bekannt gewordenes Treffen mit dem österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner in Potsdam. Thema: massenhafte Abschiebungen von Menschen mit Migrationshintergrund. Beteiligt waren mehrere AfD-Politiker, darunter ein Mitarbeiter aus dem Büro von Alice Weidel, von dem sie sich anschließend getrennt hat. Inzwischen ist die Partei- und Fraktionschefin Kanzlerkandidatin der AfD.
Der Freidemokrat (FDP) Konstantin Kuhle sagte, es gebe unter den Funktionären, den Wählerinnen und Wählern der AfD Rechtsextremisten, Rassisten und Antisemiten. Dennoch ist seine Fraktion gegen einen AfD-Verbotsantrag. Ein Argument: Es gebe Menschen, die bei der AfD ihr Kreuz machten angesichts der wirtschaftlichen Lage Deutschlands. Die sich Sorgen um die eigene Zukunft oder um die Zukunft ihrer Kinder machten.
Warum die FDP gegen ein AfD-Verbotsverfahren ist
Kuhle weiter: "Es gibt unter den Menschen, die heute AfD wählen, die heute AfD wollen, Menschen, die sich mehr Ordnung und mehr Kontrolle in der Migrationspolitik wünschen. Und das sind legitime Anliegen." Und es gebe eine immer größer werdende Entfremdung eines großen Teils der Bevölkerung mit den Institutionen der liberalen Demokratie. "Ein AfD-Verbotsverfahren würde diese Entwicklung noch verstärken", sagte der FDP-Politiker.
Renate Künast: "Es ist fünf vor 12 – mindestens"
Die Grünen-Abgeordnete Renate Künast warf der AfD vor, die freiheitlich-demokratische Grundordnung lächerlich zu machen. Ihr Ziel sei es, mit Desinformation das Land zu zerstören. "Es ist fünf vor 12 – mindestens. In manchen Regionen Deutschlands ist es fünf nach zwölf." Künasts Fraktionskollegin Ricarda Lang kritisierte derweil Christdemokraten (CDU) und Christsoziale (CSU) dafür, am Tag zuvor mit den Stimmen der AfD für eine schärfere Migrationspolitik geworben zu haben.
Aus Sicht der AfD ist die Verbotsdebatte ein reines Ablenkungsmanöver. "Inhaltlich hat man uns nie gestellt", sagte ihr Abgeordneter Peter Boehringer. "Seit 2018 wird sogar der Inlandsgeheimdienst auf uns gehetzt. Mit dem einzigen Ziel, uns mit pseudojuristischen Argumenten als extrem zu brandmarken und nun sogar ein Verbot anzustreben." Doch das werde scheitern, prophezeit Boehringer. Mit "Inlandsgeheimdienst" meinte er den Verfassungsschutz, der die AfD teilweise als "erwiesen rechtsextrem" einstuft.
CDU-Mann Amthor befürchtet ein "Gütesiegel" für die AfD
Warum die Unionsfraktion aus CDU und CSU mehrheitlich gegen ein Verbotsverfahren ist, begründete der Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor: Man sehe die Gefahr eines Scheiterns vor dem Bundesverfassungsgericht und dass sich die AfD dann ein demokratisches Gütesiegel anhefte, das ihr nicht zustehe.
Martina Renner von den Linken engagiert sich schon seit vielen Jahren auch außerhalb des Parlaments gegen Rechtsextremismus. "Jeden Tag ereignen sich in diesem Land drei rechte Gewalttaten. Ganze Landstriche, in denen Menschen Angst haben, sich als Bürgermeister oder Bürgermeisterin oder in der Zivilgesellschaft zu engagieren." Für Renner gibt es keinen Zweifel daran, dass diese Entwicklung auch mit dem Erstarken der AfD zu tun hat.
Das BSW hält die Debatte für ein "Wahlkampf-Geschenk an die AfD"
Ähnlich sieht das Jessica Tatti, die früher ebenfalls bei den Linken war und inzwischen zum Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gewechselt ist. Sie warnte vor einem Verbotsverfahren: "Nicht alles, was juristisch möglich ist, ist auch politisch klug. Diese Debatte allein ist schon nichts anderes, als ein Wahlkampf-Geschenk an die AfD."
Rund anderthalb Stunden dauerte der Schlagabtausch im Bundestag. Immer wieder sah sich die Parlamentsvizepräsidentin Petra Pau dazu veranlasst, die Abgeordneten aller Fraktionen um Mäßigung zu bitten: "Es hat keinen Sinn, uns gegenseitig als Nazis oder mit anderen Vokabeln zu beschimpfen." Am Ende der Debatte erteilte sie dem AfD-Abgeordneten Stephan Brandner eine Rüge, einen sogenannten Ordnungsruf. Er hatte jemand als "Sozialfaschisten" beschimpft.
Gesellschaft für Freiheitsrechte will ein Gutachten erstellen
Ob und wann sich der Bundestag erneut mit der Einleitung eines AfD-Verbotsverfahrens beschäftigt, ist nach der ersten hitzigen Debatte offen. Der öffentliche Druck dürfte auf jeden Fall hoch bleiben. Die in Berlin ansässige Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat angekündigt, ein umfassendes Gutachten in Auftrag geben zu wollen.
Damit soll geklärt werden, ob ein Antrag beim Bundesverfassungsgericht, die AfD zu verbieten, Aussicht auf Erfolg hätte. Aus Sicht der GFF hat die bisherige Unsicherheit in dieser Frage eine rationale Diskussion über das Für und Wider eines Parteiverbotsverfahrens sehr erschwert.