Regierung will Kameras ins Gericht lassen
31. August 2016Wichtige Urteilsverkündungen der obersten Bundesgerichte sollen künftig sogar in Echtzeit im Fernsehen und im Internet übertragen werden können. Diese Möglichkeit soll ein Gesetzentwurf schaffen, den das Bundeskabinett verabschiedete. Das seit 1964 bestehende Verbot von Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen in Gerichtssälen würde dadurch "moderat gelockert", wie Justizminister Heiko Maas erklärte.
"Das ist ein weiterer Schritt zur Modernisierung der Justiz", meint Maas. "Was in Deutschland von den obersten Gerichten an Recht gesprochen wird, wirkt sich auf unser gesellschaftliches Zusammenleben aus." Es könne daher "nur helfen, wenn das allen interessierten Menschen noch näher gebracht wird, indem sie sich solche Urteilsverkündigungen ansehen können".
Nicht mehr zeitgemäß
Aus dem Ministerium hieß es außerdem, der Umgang mit modernen Kommunikationsformen lasse ein generelles Verbot nicht mehr zeitgemäß erscheinen. Künftig solle die mündliche Verhandlung und die Urteilsverkündung in einen Arbeitsraum für Journalisten übertragen werden können. Maas sagte, dies gelte für Verfahren mit einem besonderen öffentlichen Interesse und sei auch eine Lehre aus dem NSU-Prozess. Verfahren von "herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung" sollen künftig zudem aufgezeichnet und Urteilsverkündungen live übertragen werden dürfen.
Maas versicherte jedoch: "Wir werden aus dem Gerichtssaal keine Showbühne machen." Deshalb sollen die Gerichte auch selbst darüber entscheiden können, ob ihre Verhandlung für Medienvertreter übertragen werden oder ob ein Urteil über die Medien verkündet wird.
Kritik von Anwälten
Bei Anwälten stößt das Vorhaben auf gemischte Reaktionen. "Die behutsame Öffnung der Gerichtssäle für die Berichterstattung aus laufenden Verfahren ist zu begrüßen, sofern die Interessen aller Verfahrensbeteiligten ausreichend geschützt werden", sagte der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Ulrich Schellenberg, der Deutschen Presse-Agentur. Daran bestünden jedoch Zweifel. Es müsse beispielsweise absolut sichergestellt sein, dass Unbefugte, wie etwa Zeugen, keinen Zutritt zu einem separaten Medienraum hätten. Schellenberg bemängelt: "An dieser Stelle ist der Gesetzentwurf unzureichend."
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) zeigt sich von dem Beschluss des Bundeskabinetts enttäuscht. Kameraübertragungen in den Arbeitsraum für Journalisten seien weiterhin nicht erlaubt, ebenso wie Handys und Laptops im Gerichtssaal. Insgesamt greife der Gesetzesentwurf zu kurz, meint der DJV. Es liege nun an den Abgeordneten im Bundestag, "ob die Berichterstattung der Medien und die Teilnahme der Öffentlichkeit an Gerichtsverfahren zeitgemäß ausgestaltet wird oder im Gestern hängen bleibt."
nin/stu (dpa, afp, epd)