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Bundesregierung streicht Gelder für zivile Seenotrettung

1. Juli 2025

In den vergangenen Jahren hat Deutschland die zivile Seenotrettung im Mittelmeer mit jährlich zwei Millionen Euro gefördert. Doch damit ist jetzt Schluss.

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Personen mit Rettungswesten besteigen ein Boot
Zivile Seenotretter müssen künftig ohne Gelder der Bundesregierung auskommenBild: Judith_Buethe

"Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt!", sagt der evangelische Bischof Christian Stäblein. Für den Vorsitzenden der Sea-Eye-Hilfsorganisation, Gorden Isler, ist der Stopp der Zahlungen ein "fatales Signal". Und die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann, kritisiert: "Absehbar verschärft die Koalition damit die humanitäre Krise auf dem Mittelmeer und verursacht menschliches Leid."

Die Entscheidung der Bundesregierung aus Union und SPD, die Seenotrettung von Geflüchteten im Mittelmeer nicht länger finanziell zu unterstützen, hat in Deutschland für viel Wirbel gesorgt. Seenotrettungsinitiativen wie Sea-Eye, SOS Humanity, SOS Méditerranée, RESQSHIP und Sant'Egidio hatten in den Jahren 2023 und 2024 insgesamt zwei Millionen Euro an Zuschüssen bekommen, im ersten Quartal dieses Jahres waren es rund 900.000 Euro. Weitere Förderungen seien nun nicht mehr geplant, heißt es aus dem Auswärtigen Amt.

Politikwechsel durch die neue Bundesregierung

Bundesaußenminister Johann Wadephul, welcher der zivilen Seenotrettung schon immer kritisch gegenüberstand, hat seine Position verteidigt. Deutschland bleibe immer der Humanität verpflichtet, betont er. Aber: "Ich glaube nicht, dass es eine Aufgabe des Auswärtigen Amtes ist, für diese Form der Seenotrettung jetzt Mittel zu verwenden. Insofern haben wir die Politik geändert. Aber meine Politik wird darauf gerichtet sein, mit diplomatischen Mitteln dafür zu sorgen, dass derartige Fluchtbewegungen eingegrenzt werden können."

Bundesaußenminister Johann Wadephul bei einer Parlamentssitzung
"Bei dieser kritischen Position bleibt es" - Johann Wadephul zur finanziellen Unterstützung der zivilen SeenotrettungBild: Frederic Kern/Geisler-Fotopress/picture alliance

Deutschland müsse dort aktiv sein, wo die Not am größten sei, wie beispielsweise im Sudan und Südsudan, und seine Aktivitäten dort verstärken, argumentiert der Bundesaußenminister. Christian Wagner, Sprecher des Auswärtigen Amtes, fügt hinzu: "Das sagt ja nichts darüber aus, dass Seenotrettung, die ja auch Pflicht ist, weiter stattfindet. Es geht ja nur um die Frage, ob dies aus staatlicher Förderung passieren soll." Ein Großteil der Menschen werde ohnehin durch die italienische Küstenwache gerettet. Zudem machten sich immer noch viel zu viele Menschen auf diesen gefährlichen Weg. 

Auch dieses Jahr schon Hunderte Tote auf dem Mittelmeer

Wie gefährlich dieser Weg ist, zeigen auch die jüngsten Zahlen: Allein in diesem Jahr registrierte die Internationale Organisation für Migration (IOM) 748 Tote oder Vermisste. Die Flucht über das Mittelmeer Richtung Europa in oftmals unsicheren Booten gilt als tödlichste Fluchtroute der Welt, seit 2014 sind mehr als 32.000 Menschen dort ums Leben gekommen, oder werden vermisst.

Deswegen sei die Entscheidung, "ein klares Armutszeugnis für die Menschenrechte auf dem zentralen Mittelmeer", sagt Marie Michel im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Insbesondere wenn wir uns vor Augen halten, dass die aktuelle Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben hat, humanitäre Hilfe zu schützen und Humanität zu verfolgen. Die zwei Millionen Euro waren bereits eine sehr bescheidene Unterstützung und eigentlich nur ein kleiner Funken Solidarität mit Menschen auf der Flucht", so Michel gegenüber der DW. 

Finanzierung von Rettungsoperationen wird schwieriger

Michel ist politische Sprecherin bei der Hilfsorganisation SOS Humanity. Die Nichtregierungsorganisation aus Berlin organisiert seit zehn Jahren die Seenotrettung im Mittelmeer mit dem Schiff Humanity 1 und hat seitdem nach eigenen Angaben mehr als 38.000 Menschen gerettet.

Die Streichung der finanziellen Unterstützung durch die Bundesregierung bedeutet für SOS Humanity einen spürbaren finanziellen Einbruch, rechnet Michel vor: "Unseren Prognosen zufolge hätten wir mit dem Geld zwei Rettungsoperationen mit unserem Rettungsschiff Humanity 1 finanzieren können. Das bedeutet, es gibt jetzt natürlich eine Spendenlücke, aber wir hoffen sehr stark auf das breite gesellschaftliche Bündnis und die Unterstützung, die wir aus der Mitte der Gesellschaft heraus erfahren."

Geflüchtete auf dem Meer, im Hintergrund Rettungsboot
"Wir retten Menschenleben, wo die europäischen Staaten tatenlos bleiben, obwohl es rechtlich gesehen ihre Pflicht ist, Leben zu retten" - Marie Michel von SOS Humanity zur zivilen SeenotrettungBild: Pietro Bertora

Seenotrettungsorganisationen fühlen sich diskreditiert

Vor kurzem, im Mai 2025, war Marie Michel mit SOS Humanity  als Menschenrechtsbeobachterin an Bord der Humanity 1. Genau 297 Menschen konnte das Boot in vier Rettungsaktionen aus Seenot retten und zu den italienischen Häfen La Spezia, Ravenna und Bari bringen, so die Organisation. Doch die Arbeit auf dem Mittelmeer wird immer schwieriger - nicht nur aufgrund der gerade beschlossenen Streichung von Geldern durch die Bundesregierung, sondern auch durch das politische Klima in Europa.

"Was wir seit einem Jahr verstärkt beobachten, ist eine Entmenschlichung von schutzsuchenden Menschen, die aus dem globalen Süden über das zentrale Mittelmeer fliehen. Diesen Menschen werden ihre fundamentalen Rechte abgesprochen, sie werden allein gelassen auf dem Mittelmeer, sie werden sterben gelassen", sagt Michel. "Und diese Entmenschlichung wird dann auch auf zivile Seenotrettungsorganisationen übertragen, die humanitäre Hilfe leisten."

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur