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Bulgarien an Ausweitung der Zusammenarbeit mit Deutschland sehr interessiert

28. März 2002

– DW-Interview mit dem bulgarischen Staatspräsidenten Georgi Parwanow

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Köln, 27.3.2002, DW-radio / Bulgarisch

In einem Interview mit der Deutschen Welle, Bulgarischer Dienst, äußert sich der bulgarische Präsident Georgi Parwanow zu der spezifisch bulgarischen politischen Konstellation, dass dort ein Kommunist Präsident ist und ein Ex-König Ministerpräsident, zur Sozialpolitik, zur Bedeutung der Mitgliedschaft Bulgariens in der NATO und der EU, zum Stabilitätspakt für Südosteuropa, zur Mazedonien-Frage, zum "neuen Jugoslawien", zum Kosovo-Problem, zu den deutsch-bulgarischen Beziehungen, zur Möglichkeit vorgezogener Parlamentswahlen sowie zur Rolle der Parteien auf der bulgarischen politischen Bühne. Die Fragen stellen Dietrich Schlegel und Alexander Andreew.

Frage:

Darf ich mit einer provozierender Frage beginnen, da es die Menschen in Deutschland und der Welt interessiert. Bulgarien hat einen Kommunisten als Präsidenten und einen Ex-König als Ministerpräsidenten. Von außen betrachtet ist das eine sehr seltsame Konstellation. Wie arbeiten Sie, wie kann dieser Staat geführt werden mit dieser Paarung? Ist es was Außergewöhnliches für Sie, oder ist es inzwischen business as usual?

Antwort:

Ich möchte mich zuerst für diese Möglichkeit bedanken, ein Interview für das breite Auditorium der Deutschen Welle zu geben. Sie werfen eine der interessantesten und am häufigsten gestellten Fragen auf. Tatsächlich sind der Ministerpräsident und ich Träger der Geschichte, unsere Vergangenheit ist ziemlich widersprüchlich, aber wir wurden vom Volk nicht wegen unserer Vergangenheit gewählt, sondern wegen unserer pragmatischen Vision für die Zukunft, die wir dem bulgarischen Volk angeboten hatten. Übrigens, wenn das auch nicht bescheiden klingt, sind wir längst in Europa bekannt geworden, bevor wir für diese Posten gewählt wurden. Ich erlaube mir ein Beispiel anzuführen. Als Oppositionsführer der linken sozialistischen Partei hatte ich in anderthalb Jahren zwei Begegnungen mit dem Bundeskanzler Schröder. Das wichtigste ist es, dass der Ministerpräsident und ich einen sehr aktiven und ehrlichen Dialog miteinander führen. Solch einen Dialog hat es bisher noch nicht zwischen dem Präsidenten und dem Ministerpräsidenten in der neuen bulgarischen Geschichte gegeben. Das bedeutet, dass jetzt in Bulgarien eine sehr wichtige Voraussetzung für politische Stabilität vorhanden ist, und zwar die Zusammenarbeit zwischen zwei von drei Hauptinstitutionen im Land. Natürlich ist es auch wichtig, welche Tagesordnung wir von nun an diesen Institutionen anbieten werden. Es muss eine Tagesordnung sein, die den Vorstellungen der bulgarischen Gesellschaft entspricht. In dieser Hinsicht haben Präsident, Regierung und Parlament noch viel zu tun.

Frage:

Sie haben eingangs Ihrer Amtstätigkeit im Januar unter anderem erklärt, Sie möchten auch einen sozialen Staat schaffen, oder mithelfen, einen sozialen Staat zu schaffen. Nun haben Sie ja als Präsident keine exekutiven Vollmachten, von einigen wichtigen Ausnahmen abgesehen, aber Sie sind eigentlich nicht zuständig für Innenpolitik. Aber sicher hat es Sie auch zu interessieren, wie die allgemeine Lage im Lande ist. Und auch wir in Deutschland bekommen natürlich mit, dass die soziale Lage nicht sehr gut ist. Die Gewerkschaften drohen schon mit einem Generalstreik. Welche Möglichkeiten haben Sie als Präsident, auf diese sozialen Fragen einzuwirken?

Antwort:

Ich bleibe meinem Engagement, ein sozialer Präsident zu sein, treu. Mein Engagement muss man in mehreren Richtungen verstehen. Vor allem möchte ich als soziales Korrektiv der Regierung, der parlamentarischen Mehrheit fungieren, und meine Rolle habe ich schon gezeigt, indem ich ein Veto gegen das Privatisierungsgesetz eingelegt habe. Dieses Gesetz stellte eine sehr neoliberale Ideologie, eine extrem rechte Philosophie dar, die sich sehr von der bisherigen Art und Weise der Privatisierung unterschied (...). Andererseits ist leider der Präsident derjenige, der einen intensiveren sozialen Dialog mit den Gewerkschaften, mit den Organisationen der Sozialschwachen, der Rentner, der Behinderten führt. Das könnte ein Zeichen für die Regierung sein, dass sie diesen Dialog auch schuldig ist.

Und damit es nicht so klingt, als ob der Präsident bloß redet und nur zum Finden von Problemlösungen aufruft, versuche ich von meiner Position aus zur Realisierung von ernsthaften Investitionsprojekten beizutragen, die zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, die ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum sichern, das seinerseits eine Voraussetzung für eine aktive Sozialpolitik ist.

Frage:

Auf dem Felde der Außenpolitik gibt es wohl keinen Dissens zwischen allen politischen Kräften Bulgariens. D.h. möglichst bald Anschluss an die europäischen Institutionen finden, möglichst bald Mitglied der NATO zu werden. Das sind, glaube ich, auch Ihre Ziele. Aber wie wichtig ist es für Bulgarien, NATO-Mitglied zu werden?

Antwort:

Sie haben Recht, dass die Mitgliedschaft in der EU und NATO Hauptprioritäten für alle politischen Kräfte sind, dass das eine Frage des Konsens in der bulgarischen Politik ist. Zurzeit strebt die Regierung danach, die Beitrittsverhandlungen mit der EU zu beschleunigen, alle Verhandlungskapitel zu öffnen und bei den nächsten zwei Vorsitztreffen die meisten Kapitel abzuschließen. Für uns ist dieses Jahr, das Jahr des Treffens in Prag, besonders wichtig für unsere Aufnahme in die NATO. Die Bewertung der Reformfortschritte in der Armee und der Aktivitäten zur Festigung unserer Sicherheit sind positiver denn je, d.h. der Fortschritt ist sichtbar. Das wäre nicht nur eine Investition für die Sicherheit in Bulgarien, sondern auch für den ganzen Balkan. Auf diese Weise werden Bedingungen für die Festigung der südlichen Flanke der NATO geschaffen. Darüber hinaus hat Bulgarien seine Rolle als Verbündeter der NATO mit seinem Engagement auf dem Balkan, im Kosovo, in bezug auf Mazedonien und jetzt mit seinem Engagement gegen den Terrorismus schon bewiesen. (...)

Frage:

Man hört des öfteren in bulgarischen Medien Reserven und auch Kritik, Verdacht gegenüber dem Stabilitätspakt für Südosteuropa. Manche glauben anscheinend, dass das eine Art Mini-EU werden könnte, das hört man auch in

anderen Balkanländern, diese Furcht, dass dadurch die Mitgliedschaft in der EU verzögert werden sollte oder der Stabilitätspakt eine Art Ersatz für die EU werden sollte. Sie haben Gespräche mit dem neuen Koordinator des Stabilitätspaktes geführt. Teilen Sie auch diese Befürchtungen, die ich gerade geschildert habe, oder sind Sie anderer Auffassung?

Antwort:

In Bulgarien existieren zwei Arten von Befürchtungen hinsichtlich des Stabilitätspakts für Südosteuropa, und es gibt zwei politische Meinungen. Die einen denken, dass wirklich eine Gefahr besteht, dass der Balkan losgelöst wird und anstatt dass wir konkret bewertet werden, also jedes Land nach seinen eigenen Leistungen, eine Gesamtbewertung für alle Balkanländer ohne jegliche klare Perspektive möglich wäre. Bulgarien sowie Rumänien und wahrscheinlich auch die anderen Länder wollen einen eigenen Weg in die EU. Es gibt auch eine andere Art von Kritik an dem Pakt: (...) dass zu viel Zeit vergangen ist, ohne dass in konkrete große Infrastrukturprojekte investiert wurde, wenigstens in jene Projekte, die Bulgarien und die Nachbarländer betreffen. Wir erwarten mehr in Bezug auf die zweite Donaubrücke, mehr bezüglich der Eisenbahnlinie, die Bulgarien und Mazedonien verbinden soll. Das sind echte Investitionen für den Frieden auf dem Balkan. Auf diese Weise kann man mehr für den Frieden tun, als wenn man sich mit großen Militärformationen auszeichnet. Selbstverständlich unterstützen wir den Stabilitätspakt unabhängig von unserer Kritik, und wir werden auch der neuen Führung des Paktes, dem Herrn Busek Beistand leisten. Im Gegensatz zu unserer früheren Regierung, die mit dem Thema für den Stabilitätspakt zu spielen versuchte, auf der Suche nach anderen Vorteilen für das Land, wollen wir verschiedene mit der europäischen Integration verbundene Probleme nicht miteinander vermischen.

Frage:

Wo sehen Sie zur Zeit den größten Gefahrenherd für die Stabilität in der SOE-Region? Sehen Sie die Mazedonienfrage einigermaßen gelöst? Wie beurteilen Sie das Kosovo-Problem? Glauben Sie, dass das Abkommen Serbien-Montenegro, das neue Jugoslawien sozusagen, Zukunft hat?

Antwort:

Auf dem Balkan gibt es immer noch viele Probleme. Sie sind historisch, sozial, aber das größte Problem ist immer noch der wirtschaftliche Rückstand der Region. Bulgarien hat seine historischen Probleme mit Mazedonien gelöst und mein letztes Treffen mit dem mazedonischen Präsidenten Boris Trajkovski war ein Beweis dafür. Ich denke, dass die Entscheidung über das Erbe des ehemaligen Jugoslawien mit dem neuen Abkommen zwischen Serbien und Montenegro befriedigend ist. Aber ob dieses Abkommen eine dauerhafte Perspektive ist, hängt von der Reife, von der Weisheit der Staatsoberhäupter ab. Auf jeden Fall kann ich garantieren und bestätigen, dass Bulgarien eine Quelle der Stabilität für alle seine Nachbarn bleibt und dass Bulgarien so gute Beziehungen zu allen Nachbarländern pflegen wird, wie es noch nicht im letzten Jahrhundert der Fall war. Wir hatten ständig Konflikte und irgendwelche Probleme und jetzt ist Bulgarien vielleicht das einzige Land, das sehr überzeugend seine Probleme mit jedem seiner Nachbarländer löst.

Frage:

Und das Kosovo-Problem?

Antwort:

Zur Situation im Kosovo denke ich, dass sich die Lage dort relativ gut entwickelt. Ich meine, dass im Moment die Bestrebungen des Kosovo, ein eigenständiger Staat zu werden, die Spannungen erhöhen könnten. Die bulgarische Position setzt sich im Moment für die Unverletzlichkeit der Staatsgrenzen ein, weil sonst eine Änderung der Lage negative Prozesse in andere Richtungen bewirken könnte. Es muss klar sein, dass auf dem Balkan kein ethnisch-homogenes Land existieren kann, und das müssen auch alle Balkanvölker begreifen und natürlich auch unsere europäischen Partner.

Frage:

Wie beurteilen Sie den Stand der deutsch-bulgarischen Beziehungen?

Antwort:

Deutschland war immer ein solider, starker und zuverlässiger Partner Bulgariens unabhängig vom Wandel während des 20. Jahrhunderts. Wir haben heute sehr aktive, sehr perspektivvolle politische Beziehungen auf allen Ebenen. Ich beurteile die Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen unseren beiden Ländern sehr positiv. Deutschland steht ganz oben auf der Partnerliste im Handels- und Warenaustausch und bei Investitionen in Bulgarien, aber ich denke, dass es immer noch ungenutzte Reserven gibt. Auf jeden Fall kann ich Sie und Ihre Zuhörer dessen versichern, dass Bulgarien ein großes Interesse an der Erweiterung der Zusammenarbeit mit Deutschland hat.

Frage:

Wie bewerten Sie die bisherige Tätigkeit der Regierung und wie stehen Sie zu den immer häufigeren Appellen für vorzeitige Parlamentswahlen?

Antwort:

Ich meine, dass Bulgarien zurzeit keine vorgezogenen Parlamentswahlen braucht. Ich denke, dass sogar die Diskussion in diesem Moment sehr schädlich ist. Ich möchte die politische Stabilität des Landes weiter stärken. Natürlich muss klar sein, dass keiner von außen die Regierung im größeren Maß stabilisieren kann, als die Regierung allein das schaffen kann. Sehr wichtig ist das Engagement der Regierung, der parlamentarischen Mehrheit viel mehr, weil die Stabilität der Regierung von der dynamischen, qualitativen Gesetzgebung nicht in geringem Maß abhängig ist. Ich glaube, dass schon bestimmte Indikationen dafür existieren, dass die Regierung die Richtung für den richtigen Weg gefunden hat. Aber sie braucht einen intensiveren Dialog sowohl innerhalb der Regierung und der parlamentarischen Mehrheit als auch mit den Oppositionsparteien von links und rechts. Es kann zum Beispiel nicht Zurückweisungen von vernünftigen Vorschlägen geben, die von den anderen Parteien im Parlament oder von den Gewerkschaften kommen. Das sind Vorschläge, die der Regierung nur behilflich sein können.

Frage:

Was müsste Ihrer Meinung nach in die politische Agenda des Landes bis Ende des Jahres aufgenommen werden? Welche Gesetze sollten vorrangig verabschiedet werden?

Antwort:

Ich meine, dass die Regierung mit der Verabschiedung dieser Gesetze zurückbleibt, die Ausdruck einer stärkeren wirtschaftlichen und sozialen Politik sind. Andererseits gibt es in diesem Jahr, das im Zeichen der NATO steht, viele Gesetze, die dringend verabschiedet werden sollten. Dies sind die Gesetze zum Datenschutz, zur Krisenbewältigung und andere, deren Verabschiedung von der NATO als Hauptbedingungen genannt wurden. Ich glaube, dass das Gesetzgebungsprogramm der parlamentarischen Mehrheit dringend aktualisiert werden sollte, damit sich die Regierung auf die zwei wichtigsten Hauptthemen konzentrieren kann. Das sind die sozial-ökonomische Politik und die Mitgliedschaft Bulgariens in der EU und in der NATO.

Frage:

Bevor Sie zum Staatsoberhaupt gewählt wurden, habe Sie die mitgliederstärkste bulgarische Partei, die Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) geführt. Gegenwärtig wird in Bulgarien über die Rolle der Parteien im politischen Leben diskutiert, wird über neue Konstellationen nachgedacht, da die "Nationale Bewegung Simeon II." (die Sammelbewegung von Simeon Sakskoburggotski - MD) sich noch nicht als stabile politische Partei etabliert hat. Wie sehen Sie die Rolle der Parteien jetzt auf der bulgarischen politischen Bühne?

Antwort:

Die Parteien haben sich ohne Zweifel während der Übergangsperiode sehr kompromittiert, aber gerade die Erfahrung aus den letzten 7 - 8 Monaten ist eine Bestätigung dafür, dass, wenn die Parteien auch eine schlimme Sache sein mögen, etwas Besseres noch nicht erfunden wurde. Ich habe einen bekannten Politiker paraphrasiert. Ich erwarte deswegen eine notwendige, wenn auch schwierige Rehabilitation der Sozialistischen Partei. Und natürlich sollte der Dialog zwischen der Sozialistischen Partei und der Gesellschaft intensiviert werden. (me)