Christen in Syrien: Wegen Massaker mehr Angst als Hoffnung
11. März 2025"Wie groß war unsere Freude, als Häftlinge befreit wurden und die Gefängnisse sich leerten", sagt Yacoub Mourad. "Doch die Tage vergingen, und die Gefängnisse haben sich wieder gefüllt - vor allem mit Alawiten."
Der 57-jährige Mourad ist ein syrisch-katholischer Geistlicher und seit 2023 Erzbischof von Homs, der drittgrößten Stadt Syriens nach Damaskus und Aleppo. Seine Sicht auf das Schicksal der nun inhaftierten Alawiten im neuen Syrien nach Assad: willkürliche Festnahmen, Schnellverfahren ohne das Recht auf Verteidigung, manchmal sogar Hinrichtungen im Rahmen "voreiliger Abrechnungen" ohne Gerichtsverfahren.
Der syrische Geistliche hat sein Land kurz verlassen und ist nach einer Etappe im Vatikan in die ländliche Eifel westlich von Köln gekommen. Dort tagt im Kloster Steinfeld die katholische Deutsche Bischofskonferenz. Sie befasst sich unter anderem mit der Lage der Christen im Nahen Osten. Die dramatische Entwicklung der vergangenen Tage mit Massakern an Alawiten im Nordwesten des Landes in der Nähe der Stadt Latakia überschattet nun diese Begegnung. "Leider besteht eine große Kluft zwischen der offiziellen Rhetorik der derzeitigen Machthaber und der Realität vor Ort", sagt der Erzbischof.
Verantwortung für die Massaker liege bei der syrischen Übergangsregierung
Mourad sieht angesichts der Massaker an der alawitischen Minderheit Anzeichen für einen Völkermord. Und er spricht von einem "schrecklichen Verbrechen". Die von Ahmed al-Scharaa geführte Übergangsregierung trage dafür die Verantwortung.
Er klagt über die Verbreitung von Waffen in dem Land, die auch von außen hinein kämen. Ausdrücklich nennt der Geistliche die Rolle der Türkei, die eine Mitverantwortung habe. Und er fordert, alle bewaffneten Demonstrationen im Land zu verbieten.
Seit dem sogenannten Arabischen Frühling prägte ein Bürgerkrieg Syrien viele Jahre lang. Millionen Menschen flohen ins Ausland, viele erlebten in ihrer Heimat Terror. Mit Blick auf die Gräuel der Islamisten berichtet der Erzbischof nicht nur vom Hörensagen, sondern ist selbst Zeuge und Überlebender. Und immer noch bangt er um Freunde, die 2015 verschwanden und nie mehr auftauchten.
Als der "Islamische Staat" 2015 die Kontrolle über seine Region übernahm, sei er selbst "in Raqqa entführt und inhaftiert" worden, erzählt er. Nach knapp fünf Monaten sei ihm "mit der Hilfe eines muslimischen Freundes die Flucht auf einem Motorrad" gelungen. Und dank der Solidarität einer Gruppe von Muslimen aus dem Ort al-Qaryatain "konnten wir alle Christen vor Ort befreien", die der IS festgesetzt hatte. "Dieses Zeugnis der Brüderlichkeit und Solidarität hat mich stark geprägt."
Forderung nach internationaler Hilfe durch die Vereinten Nationen
Mourads Schilderungen machen deutlich, welche Vielfalt an Religionen und Ethnien Syrien bisher prägte und das Land kulturell reich machte. Mehrfach wendet er sich während seiner Ausführungen gegen Islamophobie. Andererseits warnt er vor der alleinigen Vorherrschaft des sunnitischen Islam. Auch mit Blick auf die Massaker an Alawiten sagt er, sie seien "nicht unerwartet" gekommen. "Vielleicht kommt noch viel mehr", befürchtet der Erzbischof dunkel klingend. "Wir brauchen die Unterstützung der Vereinten Nationen", betont Mourad mehrfach.
Die katholischen Bischöfe teilen die Befürchtungen angesichts der jüngsten Eskalation. Die Entwicklung der Politik von Präsident al-Scharaa sei mehr als besorgniserregend. "Wir sehen erschüttert, was jetzt passiert", so der Paderborner Erzbischof Udo Markus Bentz, der immer wieder im Auftrag der Bischofskonferenz in die Region reist.
Die Aussagen al-Scharaas über die Achtung aller Minderheiten "waren leeres Gerede, zumindest gegenüber der Minderheit der Alawiten". Die Bilder und Nachrichten von den Massakern im Großraum Latakia machten ihn sprachlos. Bentz mahnte, es brauche darauf eine "internationale politische Antwort".
Hoffen auf ein "neues Syrien"
Dabei ist Mourad mit einer Vision zu den deutschen Bischöfen gekommen. Er wünscht sich eine rasche Verfassungsreform in Syrien und freie Präsidentschaftswahlen unter UN-Aufsicht. Und er hofft, dass viele derer, die Syrien verlassen haben, zurückkehren. Das gelte auch für syrische Ärzte, die in Deutschland tätig seien. Aber man könne niemanden drängen, der dann vielleicht in Zelten leben müsse.
Es geht ihm indes nicht nur oder nicht vorrangig um materielle Fragen. Der katholische Geistliche, dem einst ein Muslim zur Flucht aus gefährlicher Gefangenschaft verhalf, setzt auf Dialoge vor Ort und das Miteinander von jungen Leuten unterschiedlicher Religion: Muslime, Alawiten und Christen.
"Das Assad-Regime hat immer wieder versucht, die Menschen gegeneinander aufzubringen." In allem Schmerz spürt man zugleich Mourads Liebe zu Syrien und dessen reicher Kultur. "Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr die Menschen Durst haben nach Kultur." Sie bräuchten Theater, Musik, Kunst und Ausstellungen. "Wir hatten dabei so einen Reichtum. Ganze Generationen haben da nichts von mitbekommen."