"Autoritäres Verständnis von Demokratie"
16. Oktober 2003Berlin, 15.10.2003, DW Berlin, Andreas Schmidt
Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat den massiven Druck russischer Behörden auf Menschenrechtsorganisationen in dem Land kritisiert. Die stellvertretende Institutsdirektorin, Frauke Seidensticker, beklagte am Dienstag (14.10.) in Berlin bei der Vorstellung eines Buches über die Lage der Nichtregierungsorganisationen in Russland brutale Zustände in der Armee. Ferner werde das Komitee der Soldatenmütter schikaniert, das sich für die Belange der Soldaten einsetzt. Russischen Truppen warf sie menschenverachtendes Vorgehen in
Tschetschenien vor. Meinungs- und Pressefreiheit seien eingeschränkt. Weitere Informationen von Andreas Schmidt.
Es war der erste große Schlag gegen die Pressefreiheit, und Jürgen Döschner erinnert sich genau. Im April des Jahres 2001 übernimmt der staatliche Gasprom-Konzern die Mehrheit an dem russischen Fernsehsender NTW - und die russische Regierung hat die Kontrolle über das wichtigste Nachrichtenmedium des Landes. Jürgen Döschner ist zu der Zeit Korrespondent in Moskau und verliert schlagartig eine wichtige, unabhängige Quelle:
"Wenn das wegfällt, findet man sich wieder in einem Zustand, wie er in der Sowjetunion geherrscht hat, wo man sich auf die offiziellen Informationen nicht verlassen kann und sich die inoffiziellen Informationen zusammensuchen muss."
Mittlerweile dürfen Journalisten im Wahlkampf die Äußerungen von Politikern nur wiedergeben, aber nicht analysieren und auch nicht kommentieren. Der russische Staat unter Präsident Putin will das öffentliche Leben komplett unter seine Kontrolle bringen, meint der Moskauer Menschenrechtler Jurij Dschibladse. Ein autoritäres Verständnis von Demokratie mache sich breit, derweil die Beziehungen zwischen Präsident Putin und Bundeskanzler Schröder besser nicht sein könnten:
Dschibladse:
"Die beiden scheinen sich gut zu verstehen. Sie reden über die Wirtschaft, über Zusammenarbeit im Krieg gegen den Terrorismus. Aber Menschenrechte - Tschetschenien, Rechtsstaatlichkeit - die Themen sind nicht mehr auf der Agenda, und das besorgt uns."Und das besorgt auch Jürgen Döschner, der sich bei der Organisation "Reporter ohne Grenzen" engagiert. Ein Trugschluss, die politische Entwicklung zu übersehen, wenn nur die wirtschaftlichen Interessen gewahrt bleiben:
Döschner:
"Das kann dazu führen, dass all das, was jetzt aufgebaut wird auf dem ökonomischen Sektor, ganz schnell wieder zusammenbricht. Wenn es nämlich große politische Verwerfungen gibt. Und politische Verwerfungen gibt es immer dann, wenn man versucht, dem Volk seine Stimme zu nehmen, wenn man versucht, politische Entwicklungen zu unterdrücken, so wie es momentan in Russland der Fall ist."Doch es gibt eine Gegenbewegung zu einem Staat, der sich öffentlicher Einflussnahme entzieht. Immer mehr russische Bürger organisieren sich, und sie gewinnen an Einfluss, beobachtet Jurij Dschibladse. Eine Zivilgesellschaft könne in Russland entstehen. Wenn der Westen nicht wegsieht. (lr)