Ausgrabungen am bisher größten Massengrab in Bosnien begonnen
30. Juli 2003Anzeige
Köln, 29.7.2003, DW-radio / Bosnisch, Azer Slanjankic
Der Ort Crni Vrh liegt in Nordost-Bosnien. Dort begann die Exhumierung der Leichen ermordeter bosnischer Muslime. Es wird angenommen, dass es sich um das bislang größte Massengrab auf dem Territorium von Bosnien und Herzegowina handelt. Darüber sprach Azer Slanjankic mit dem Vorsitzenden der Staatlichen Kommission zur Suche Vermisster, Amor Masovic.
Frage:
Am Ort Crni Vrh in der Nähe von Zvornik begann gestern die Ausgrabung eines Massengrabes mit Opfern vor allem aus Srebrenica. Herr Masovic, westliche Agenturen haben erklärt, dass es sich um das bisher größte entdeckte Massengrab in Bosnien und Herzegowina handelt. Bestätigen die bisherigen Arbeiten an dem Massengrab, das dies eigentlich zutrifft?Masovic:
Nach seinen Dimensionen zu urteilen, das sind 65 Meter Länge und vier bis fünf Meter Breite, ist es in der Tat das größte Massengrab, das bisher auf dem Territorium von Bosnien und Herzegowina gefunden wurde. Wir haben die Tiefe des Grabes noch nicht feststellen können. Nach Zeugenaussagen ist es möglich, dass das Grab sogar bis zu fünf Metern tief ist. Falls diese Angaben zutreffen und die Quellen vertrauenswürdig sind, könnte dieses Massengrab bis zu fünfhundert Leichen enthalten. Worüber wir in diesem Moment noch keine Aussage machen können, ist sein Charakter, also ob es sich um ein primäres Massengrab handelt (in dem Leichen direkt nach ihrem Todd beerdigt wurden) oder ein sekundäres Grab (in dem Leichen beerdigt wurden, die zuvor an anderer Stelle exhumiert worden waren). Wäre es ein primäres Grab, so handelt es sich bei den Leichen um Bürger aus Zvornik, die am Anfang des Krieges von April bis Juni 1992 in Zvornik und den umliegenden Dörfern von den Kräften (des ehemaligen Präsidenten der Republika Srpska Radovan) Karadzic und (seines Generals Ratko) Mladic und der ehemaligen Jugoslawischen Volksarmee umgebracht wurden. In diesem Moment, also nach anderthalb Tagen Arbeit, wurden die Überreste von mindestens drei Opfern gefunden, und nach einigen Indizien zu urteilen deutet alles darauf hin, dass es sich um Leichen aus den Massengräbern von Kazanbasca und Sahbegovici handelt, die in der vergangenen Zeit schon exhumiert worden waren. In Kazanbasca hatten wir über 150 Opfer gefunden, während wir in Sahbegovici zwar keine Opfer gefunden haben, aber Beweise dafür, dass dort einst über dreihundert Opfer begraben waren, die später entfernt wurden. Es ist möglich, dass es sich bei dem jetzt geöffneten Grab um das Sekundärgrab dieser Opfer handelt. Wir wissen auch nicht, ob vielleicht Opfer aus Srebrenica aus primären Gräbern auch hierher gebracht wurden.Frage:
Woher hatten Sie die Informationen, dass sich dort ein Massengrab befindet?Masovic:
Ich werde nicht über die Quellen sprechen, denn das ist nicht die Praxis der staatlichen Kommission zu Suche Vermisster.Frage:
Wie geht denn überhaupt der Prozess der Identifizierung der Opfer weiter, also auch der Opfer, die bereits aus anderen Gräbern exhumiert wurden?Masovic:
Ich würde sagen, dass sich das Tempo doch sehr beschleunigt hat, insbesondere was die Opfer des Völkermords von Srebrenica betrifft. Und es ist ja auch schon der Öffentlichkeit bekannt, dass 882 Opfer aus Srebrenica identifiziert und im Gedenkzentrum von Potocari beerdigt wurden. Mittlerweile wurden über 1 000 Opfer aus Srebrenica identifiziert, so dass ihre Beerdigung und eine Trauerfeier auch sehr bald organisiert werden wird. Mittlerweile werden wöchentlich im gesamten Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens, darunter ist auch Kosovo und Kroatien, zwischen 25 und 30 Opfer identifiziert.Frage:
Viel wird über die Gesamtzahl der Opfer des Massakers in Srebrenica spekuliert. Wie viele Leichen hat ihre Kommission bisher gefunden, von denen sie feststellen konnte, dass es sich um Opfer aus Srebrenica handelt?Masovic:
Mein Wissen ist, dass die Zahl der ermordeten Bürger von Srebrenica etwa 9 000 ist. Von diesen wurden etwas mehr als die Hälfte gefunden, wobei zu berücksichtigen ist, dass es sich nicht immer um komplette Leichen handelt, die gefunden wurden. Also die Opferteile von etwa 5 000 Opfern aus Srebrenica befinden sich derzeit in den Gedenkzentren von Tuzla und Visoko und dazu kommen die 882 die bereits in Potocari beerdigt wurden. Das Problem mit den Opfern aus Srebrenica besteht darin, dass wir bereits jetzt Beweise haben, dass einige Opfer an drei Orten gefunden wurden. Das beweist, dass die Zerstörung und Umbettung von Opfern in massiver Weise stattgefunden hat. Opfer wurden also sowohl in sekundäre Gräber umgebettet, als auch später in tertiäre Gräber, all das natürlich mit der Absicht der Verbrecher, ihre Taten zu verdecken, und die Spuren der Opfer zu verwischen und ihre Identität. (Übersetzung: Fabian Schmidt) (fp)Anzeige