Auf Einwanderung schlecht vorbereitet
17. Juli 2003Köln, 16.7.2003, DW-radio / Griechisch, Alexandros Fidiarakis
Griechenland galt lange als ein klassisches Auswanderungs-Land. Viele Griechen kamen als "Gastarbeiter" unter anderem nach Deutschland. Mit dem EU-Beitritt Griechenlands hat sich jedoch die wirtschaftliche Situation dort gebessert. Anfang der 1990-er Jahre, als die kriegerischen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien begannen, setzten die Einwanderungs-Ströme ein. Seitdem kämpft die Regierung in Athen mit Problemen, auf die sie - im Gegensatz zu den westeuropäischen Staaten - nicht vorbereitet war.
Bis zu Beginn der 1990-er Jahre war das Phänomen der Einwanderung den Griechen fremd. Doch die Balkan-Krise und die Öffnung der Grenzen zu den Ländern Südosteuropas änderten dies schnell: Hunderttausende Flüchtlinge - vor allem Albaner, aber auch Bulgaren und Rumänen - gelangten innerhalb weniger Jahre ins Land. Mit der hohen Zahl der Einwanderer sei der griechische Staat überfordert gewesen, sagt Andreas Takis, Mitarbeiter des griechischen Bürgerbeauftragten:
"Zum ersten Mal wurden wir zum Aufnahme-Land. Dies hat nicht nur Veränderungen in unserer nationalen Kultur und Identität bewirkt, sondern auch äußerst wichtige Fragen für die Gesetzgebung aufgeworfen. Denn unsere Rechtsordnung war mit diesem Phänomen sehr überraschend konfrontiert. Die Öffnung der nördlichen Grenzen des Landes und die großen Einwanderer-Ströme aus dem Osten haben unser Land innerhalb von wenigen Jahren zu einem Land mit einem Immigranten-Anteil an der Gesamtbevölkerung von 9 bis 10 Prozent gemacht. Diese Einwanderer - weil sie überraschend und unregistriert über die Grenzen kamen - sind zum Großteil illegal hier."
Dass eine hohe Zahl von Immigranten unregistriert ins Land kommen konnte, hängt mit den Einwanderungs-Routen zusammen: Die Bergmassive im Norden und die zahlreichen ägäischen Inseln können nicht ausreichend überwacht werden.
Und so weiß heute keiner, wie hoch die tatsächliche Zahl der Einwanderer in Griechenland ist. Nach groben Schätzungen des Innenministeriums sind es rund 1,3 Millionen Menschen - wovon aber nur die Hälfte legal im Lande ist. Registriert waren, laut der Volkszählung im Jahr 2001, knapp 450.000 Albaner, die bei weitem die größte Gruppe der Einwanderer sind. Zum Vergleich: Die Einwanderer aus Bulgarien, Rumänien, Russland und der Ukraine machen zusammen etwa 100.000 aus.
Die Probleme, die die hohe Zahl illegaler Einwanderer mit sich bringen, sind gravierend: Nicht nur die Kleinkriminalität ist gestiegen - die Polizei beklagt auch ein Anwachsen der organisierten Kriminalität, insbesondere im Bereich Zigaretten- und Menschenschmuggel.
Griechische Arbeitgeber hingegen klagen nicht: Ihnen kommen die illegalen Einwanderer sehr gelegen, die Schwarz-Arbeit blüht. Ausländer werden oft zu Löhnen unterhalb des Existenz-Minimums oder sogar nur gegen Essen und Unterkunft beschäftigt. Tätig sind sie vor allem im Baugewerbe und in der Landwirtschaft.
Heute gibt die Regierung jedoch öffentlich zu, dass Griechenland sein "kleines Wirtschaftswunder" der 1990-er Jahre weitgehend der Arbeit dieser Einwanderer zu verdanken hat. Deshalb hat sie den Versuch unternommen, die Illegalen zu registrieren: Soweit jemand nachweisen konnte, dass er sich bereits für einen längeren Zeitraum in Griechenland aufgehalten hatte, erhielt er eine befristete Arbeitserlaubnis - eine "Greencard". Doch der Erfolg war begrenzt: Nur wenige Tausende erhielten eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Denn die Melde-Fristen waren knapp, die Behörden von dem Arbeits-Aufwand überlastet.
Andreas Takis hält solche Maßnahmen für nicht ausreichend. Es mangele an grundsätzlichen Konzepten, meint er:
"Die akuten Probleme, die die bereits im Lande befindlichen Immigranten betreffen, sind so groß, dass die Frage einer tragfähigen Migrations-Politik zwar nicht als zweitrangig bewertet wird, aber auf jeden Fall in den Hintergrund geraten ist."
So greift die Regierung, um die weitere Einwanderung zu begrenzen, zu Notmaßnahmen: Wer heute an der Grenze aufgegriffen wird, dem droht eine sofortige Ausweisung. Seit Jahren praktiziert Griechenland zudem so genannte "Kollektiv-Ausweisungen". Das heißt: wenn eine ganze Gruppe illegaler Einwanderer festgenommen wird, prüft man gar nicht mehr den Asyl-Antrag jedes Einzelnen, sondern schickt gleich alle wieder zurück.
Wegen dieser Praxis ist Griechenland von anderen europäischen Staaten bereits heftig kritisiert worden - ohne Erfolg. Menschenrechts-Aktivisten wie Panagiotis Dimitras von der griechischen Nicht-Regierungs-Organisation Helsinki-Komitee sind pessimistisch:
"Das ist etwas, was legitim ist in Griechenland - weil Griechenland das Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention, das Kollektiv-Ausweisungen verbietet, nicht akzeptiert hat. Und Griechenland hat dieses Protokoll nicht akzeptiert und ratifiziert, um eben weiterhin Kollektiv-Ausweisungen durchführen zu können."
Auch in der Asylpolitik demonstriert das Land inzwischen eine härtere Haltung. So ist die Zahl der bewilligten Asyl-Anträge im letzten Jahr deutlich zurückgegangen: Während im Jahr 2001 noch rund 11 Prozent der Anträge Erfolg hatten, wurde 2002 nur noch 1 Prozent bewilligt.
Die griechische Regierung zeigt in Sachen Einwanderungs-Politik also eine zwiespältige Haltung: Einerseits wird öffentlich erklärt, dass ausländische Arbeitnehmer weiterhin benötigt werden. Andererseits geht man aber gegen neue Einwanderer und Flüchtlinge hart vor - und das wohl, weil man um die Gunst der Wähler fürchtet.
Die Ausländer-Feindlichkeit sei zwar noch immer hoch, doch sei eine positive Tendenz festzustellen, meint Panagiotis Dimitras:
"Obwohl die Meinungsumfragen zeigen, dass die öffentliche Meinung Griechenlands im Vergleich zu anderen EU-Ländern stärker von Xenophobie geprägt ist, hat sich jedoch die Intensität dieser Phobie sehr gemindert. Die schizophrene Angst vor den Ausländern ist etwas abgeebbt. Und das ist sehr wichtig. Es besteht zwar keine Akzeptanz, aber immerhin eine weitgehende Toleranz."
Doch eine wachsende Toleranz in der Bevölkerung sei eben nicht alles, meinen Experten. Vor allem müsse die Regierung nun handeln - mit einem Konzept zur aktiven Integration der Einwanderer. (fp)