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Asylpolitik in Deutschland: EuGH stoppt Reformpläne

7. August 2025

Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte könnte Folgen für die Migrationspolitik in Deutschland haben. Das gilt vor allem für Pläne, die Liste sogenannter sicherer Herkunftsstaaten auszuweiten.

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Deutschland Suhl 2020 | Asylbewerber in der Erstaufnahmeeinrichtung Thüringen
Asylbewerberinnen in einer Erstaufnahmeeinrichtung (Archiv)Bild: Bodo Schackow/dpa/picture alliance

Als "sichere Drittstaaten" werden im deutschen und europäischen Asylrecht Länder bezeichnet, in denen nach Einschätzung der Bundesregierung oder der Europäischen Kommission Menschen vor staatlicher Verfolgung sicher sind. Ob das immer zutreffend ist, darüber gehen die Ansichten auseinander. Kein Wunder, dass es immer wieder zu juristischen Auseinandersetzungen kommt. Das gilt in Zeiten einer zunehmend restriktiven Migrationspolitik umso mehr.

Für Aufsehen sorgte Anfang August ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg. Demnach dürfen EU-Länder eigenständig festlegen, welche Drittstaaten sie für sicher halten. Allerdings müssen dabei alle Quellen, die zu einer solchen Einschätzung führen, offengelegt werden. Eine weitere Bedingung ist, dass die gesamte Bevölkerung eines Landes sicher sein muss. Es darf also weder politische Verfolgung geben noch ethnische, religiöse oder sexuelle Diskriminierung.    

Was für Italien gilt, ist auch für Deutschland relevant

Im jetzt entschiedenen Fall ging es um die Klage von zwei Männern aus Bangladesch, deren Asylanträge von Italien abgelehnt worden waren. Ihr Herkunftsland wird von der Regierung in Rom als sicher eingestuft. Die Betroffenen waren in ein Lager nach Albanien gebracht worden. Italien hat mit dem nicht zur EU gehörenden Land einen Vertrag geschlossen, um Asylverfahren außerhalb der eigenen Grenzen durchführen zu können.

Was Berlins neue Migrationspolitik für Betroffene bedeutet

Auch in Deutschland gibt es eine Liste mit sogenannten sicheren Drittstaaten, die im politischen Diskurs auch als "sichere Herkunftsstaaten" bezeichnet werden. Beides bedeutet das Gleiche. Menschen aus solchen Ländern haben nur sehr geringe Chancen, dass ihr Asylantrag nach individueller Prüfung erfolgreich ist. Aktuell gilt das für acht europäische Länder außerhalb der EU und zwei in Afrika. 

Drittstaaten-Kandidaten: Algerien, Indien, Marokko, Tunesien

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung aus Unionsparteien (CDU/CSU) und Sozialdemokraten (SPD) ist vereinbart, die Liste zu verlängern. Namen werden auch schon genannt: Algerien, Indien, Marokko und Tunesien. "Eine entsprechende Einstufung weiterer sicherer Herkunftsstaaten prüfen wir fortlaufend. Insbesondere Staaten, deren Anerkennungsquote seit mindestens fünf Jahren unter fünf Prozent liegt, werden als sichere Herkunftsstaaten eingestuft."

Ob diese Pläne nach dem EuGH-Urteil noch so einfach umzusetzen sind, wie es im Koalitionsvertrag klingt, ist offen. Man werde die Entscheidung auswerten, erklärte ein Sprecher des für Asylpolitik zuständigen Innenministeriums. Unabhängig davon will die deutsche Regierung das Verfahren reformieren. Künftig sollen sichere Drittstaaten per Verordnung festgelegt werden können. Der Bundestag und die Kammer der 16 Bundesländer (Bundesrat) hätten dann kein Mitspracherecht mehr.

Innenminister Dobrindt drängt auf Reform des Asylgesetzes

Die Koalition hat bereits einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt, über den nach der Sommerpause des Parlaments abgestimmt werden soll. Die erste Debatte fand im Juli statt. Dabei nutzte Innenminister Alexander Dobrindt die Gelegenheit, die aus seiner Sicht unzureichende Zahl von Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber zu kritisieren: "Uns geht es jetzt darum, dass wir die Behinderung der wirksamen Begrenzung der illegalen Migration beenden."

Deutschland: Arbeit statt Abschiebung

Damit spielte der CSU-Politiker darauf an, dass ausreisepflichtige Menschen nach der aktuellen Gesetzeslage verpflichtend einen Rechtsbeistand erhalten, bevor ihre geplante Abschiebung durchgesetzt werden kann. Diese Regelung soll abgeschafft werden. Davon erhofft sich Dobrindt auch eine schnellere Abschiebung in schon als sichere Drittstaaten gelistete Länder. 

EU-Pläne für gemeinsame Rückführungszentren  

Innerhalb der Europäischen Union gibt es Überlegungen, gemeinsame Zentren zur Rückführung abgelehnter Asylbewerber einzurichten. Darüber haben die Innenminister der EU-Staaten im Juli bei ihrem Treffen in Kopenhagen beraten.

Dobrindt unterstützt diese Idee: Da es für einzelne Mitgliedstaaten schwierig sei, entsprechende Abkommen mit Drittstaaten zu schließen, könne ein Zusammenschluss mehrerer EU-Länder sinnvoll sein. In mehreren Staaten gebe es schon konkrete Pläne. "Ich will das auch für Deutschland nicht ausschließen", sagte der deutsche Innenminister.

"Wer nicht bleiben kann, braucht gar nicht erst zu kommen"

Dobrindt verspricht sich von der geplanten Reform eine klare Botschaft: "Wer aus einem sicheren Herkunftsstaat kommt, soll sich nicht auf den Weg machen. Wer nicht bleiben kann, der braucht erst gar nicht zu kommen."

Dublin-Verordnung: Regeln für Asylverfahren in Europa

Teile der politischen Opposition in Deutschland hoffen nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, dass die Bundesregierung ihren Kurs in der Asylpolitik ändern muss. "Das EuGH-Urteil zu sicheren Herkunftsstaaten ist ein großer Erfolg für die Einhaltung von Menschenrechten und das individuelle Recht auf Asyl in Europa", meint die Grünen-Abgeordnete Filiz Polat. Die geplante Einstufung als sicheres Herkunftsland per Rechtsverordnung ohne Kontrolle durch den Bundestag und den Bundesrat sei nicht möglich.

Linke: Georgien und Moldau keine sicheren Drittstaaten

Clara Bünger von den Linken fordert die Regierungskoalition auf, die Liste sicherer Herkunftsstaaten grundlegend zu überprüfen. "Georgien und Moldau gehören umgehend von dieser Liste gestrichen."  Die Sprecherin für Flüchtlingspolitik kann sich unter anderem auf das Verwaltungsgericht Berlin berufen. Das hat im März 2025 bezweifelt, dass die Einstufung Georgiens als sicheres Herkunftsland mit dem Europarecht vereinbar ist.

Zur Begründung wurde auf die prekäre Menschenrechtslage in den abtrünnigen Gebieten Abchasien und Südossetien verwiesen. Und Moldau wird vom EU-Land Tschechien nur in Teilen als sicher eingestuft, weil die Region Transnistrien von pro-russischen Separatisten kontrolliert wird.

"Das Urteil ist eine Absage an die Pläne der Bundesregierung"

Die Linken-Abgeordnete Bünger hält die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs aber auch mit Blick auf die von ihrer Partei abgelehnten Ausweitung der Drittstaaten-Regelung für hilfreich: "Das Urteil ist auch eine deutliche Absage an die Pläne der Bundesregierung, weitere Länder wie Tunesien und Algerien als sicher einzustufen."

In den beiden nordafrikanischen Staaten stehen gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen unter Strafe. Das gilt auch für Algerien. Damit wird gegen ein zentrales Kriterium aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs verstoßen: dass in Ländern, die als sichere Drittstaaten deklariert werden, die Sicherheit der gesamten Bevölkerung gewährleistet sein muss.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland