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Sind Pilze nicht "niedlich genug", um gerettet zu werden?

20. April 2025

Pilze haben nicht den besten Ruf, doch sie sind notwendig für unser Überleben. Viele Arten sind jetzt gefährdet. Warum es sich lohnt, sie besser zu schützen.

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Ein gewellter Zunderschwamm-Pilz wächst an einem dunklen Baumstamm im Wald
Viele Pilzarten könnten aussterben, bevor die Wissenschaft sie überhaupt entdeckt hatBild: Alfred Weintoegl/PantherMedia/IMAGO

Jahrzehntelang war es wenig bekannt, jetzt rückt das Reich der Pilze mehr ins Rampenlicht. Denn Wissenschaftler schlagen Alarm: Pilze sind zunehmend gefährdet. Dabei sind sie für Ökosysteme und für das Klima extrem wichtig.

Zum ersten Mal in der Geschichte wurden dieses Jahr mehr als 1.000 Pilzarten in die Rote Liste der bedrohten Arten der Weltnaturschutzunion (IUCN) aufgenommen. Die Liste wird oft als "Barometer des Lebens" bezeichnet.

Diese Pilzarten - die nur einen winzigen Bruchteil der vermutlich existierenden Arten ausmachen - sind durch eine Kombination von Faktoren gefährdet. Dazu zählen unter anderem Abholzung, Städtebau und Schadstoffe.

"Pilze sind besonders anfällig für Verschmutzung, insbesondere durch Düngemittel und Emissionen fossiler Brennstoffe", so Lynne Boddy, Expertin für Pilzökologie an der Universität Cardiff.

Der Schutz erfordere gezielte Maßnahmen, denn sie hätten "spezifische Bedürfnisse", sagt Boddy. "Pilze müssen bei Schutzbemühungen gesondert betrachtet werden und dürfen nicht einfach mit anderen Organismen in einen Topf geworfen werden."

Pilze auf bemoosten Totholz im Nationalpark Bayerischer Wald
Pilze sind das Rückrat der Ökosysteme in WäldernBild: Frank Sommariva/imagebroker/IMAGO

Nicht die schönste Art im Wald aber wesentlich für Pflanzen

Doch es ist nicht immer einfach, das Bewusstsein für Pilze zu schärfen, die viele oft nur als Pizzabelag oder unerwünschten Wuchs an einer feuchten Wand wahrnehmen.

"Viele Menschen interessieren sich für Tiere - besonders die kuscheligen, freundlichen, zu denen Menschen eine gewisse Affinität haben, wie zum Beispiel Pandas", sagt Boddy. Pilze dagegen lösen selten ähnlich emotionalen Überschwang aus. "Vielleicht können die Menschen sie nicht so leicht ins Herz schließen."

Pilze sind zwar nicht besonders niedlich, aber sie spielen eine wesentliche Rolle dabei, das Netz des Lebens auf der Erde zusammen zu halten. Je nach Art wachsen Pilze in den unterschiedlichsten Umgebungen: In Böden, in Wäldern und auf Bäumen ebenso wie in Süßwasserseen, im Meer oder auch ganz natürlich auf gesunder menschlicher Haut.

Mykorrhizapilze zum Beispiel, die mit dem Feinwurzelsystem von Bäumen und anderen Pflanzen in Verbindung sind, unterstützen die Ökosysteme im Wald und helfen beim Austausch von Nährstoffen, Wasser und sogar Informationen. Dabei gehen sie mit den meisten Pflanzen symbiotische Beziehungen ein und sind für das Wachstum von bis zu 90 Prozent aller Pflanzenarten unerlässlich.

Anders gesagt: "Das Leben auf der Erde hängt von den Pilzen ab", erklärt Gregory M. Mueller, leitender Wissenschaftler des Botanischen Gartens von Chicago.

Sie sind auch der Schlüssel zum Tod auf der Erde. Als Recycler der Natur bauen sie abgestorbenes oder verrottendes Holz, Blätter und anderes Pflanzenmaterial ab. "Ohne sie wären wir unter Bergen von organischen Abfällen begraben", sagt Mueller, der das Pilzprogramm der Internationalen Union zur Bewahrung der Natur, IUCN, leitet und an der jüngsten Roten Liste mitgewirkt hat.

Honiggelbe Hallimasch-Pilze wachsen an einem Baum im Nationalpark Hunsrück-Hochwald
90 Prozent der Pflanzen brauchen Pilze, um zu wachsenBild: Angelika Schmelzer/ImageBROKER/IMAGO

Pilze als natürliche CO2-Speicher 

Wälder und Grasland werden oft als Kohlenstoffspeicher herausgestellt, doch es sind tatsächlich die Pilze, die das CO2 im Boden binden. Mueller sagt sie seien "unerlässlich für die langfristige CO2-Speicherung", also für den Prozess, bei dem CO2 so gebunden wird, dass es nicht als Treibhausgas zur globalen Erwärmung beiträgt.

Ohne Pilze "wäre der Klimawandel viel schlimmer", sagte er. Mykorrhizapilze sind für die Speicherung von bis zu einem Drittel der jährlichen weltweiten Emissionen fossiler Brennstoffe im Boden verantwortlich. Damit sind sie die effizientesten Kohlenstoffspeicher der Welt.

Gleichzeitig werden die Pilze selber durch den Klimawandel beeinflusst, vor allem durch Veränderungen des Wasserhaushalts. Mueller führt das Beispiel Brasiliens an, wo die Nebelwälder in den Bergen von einem bestimmten Feuchtigkeitsgehalt abhängig sind. Der hat durch veränderte Niederschlagsmuster in den letzten Jahrzehnten abgenommen, erklärt er.

Das verändere nicht nur den Lebensraum, sondern "wirkt sich auch auf die Pflanzen aus, von denen die Pilze abhängen; sie trocknen aus und hindern die Pilze daran, ihren Lebenszyklus zu vollenden."

Keine Pilze? Anfälligkeit für Krankheiten steigt 

Eine Welt ohne Pilze würde nicht nur für die Menschen unwirtlicher werden, wenn die globalen Temperaturen steigen. Auch Bäume und Nutzpflanzen würden ohne Pilze schwächer und langsamer wachsen und immer anfälliger für Krankheiten und Dürren.

Das hätte Auswirkungen auf viele Nahrungsmittel und Medikamente. Immerhin werden etwa 40 Prozent der modernen Medikamente in der westlichen Welt aus Pflanzen gewonnen. Dazu gehört beispielsweise Galantamin zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit, das unter anderem aus Schneeglöckchen (Galanthus nivalis) gewonnen wird. Oder der Wirkstoff Apomorphin, eine halbsynthetische Verbindung, die aus Morphin der Schlafmohn-Pflanze (Papaver somniferum) extrahiert und zur Behandlung der Parkinson-Krankheit eingesetzt wird.

Pilze sind ein so wesentlicher Bestandteil des Lebensnetzes, da ohne sie die meisten Lebensformen, einschließlich des Menschen, nicht überleben würden.

"Wenn es keine Pilze im Boden gäbe, gäbe es wahrscheinlich auch kein Leben auf der Erde. Pflanzen haben vermutlich zusammen mit Pilzen das Land besiedelt. Ohne sie hätte die Welt, wie wir sie kennen, wohl nie existiert", sagt Aishwarya Veerabahu, Wissenschaftlerin am Fachbereich Botanik der Universität Wisconsin-Madison in den USA.

Magisch - Wie Pilze den Planeten heilen

Wie können gefährdete Pilze geschützt werden?

Erst 2021 hat die IUCN damit begonnen, den Schutz von Pilzen genauso wichtig zu nehmen wie den Schutz von Tieren und Pflanzen. "Diese Änderung war ein wichtiger Schritt", sagte Boddy. Er fügt hinzu, dass es nun wichtig sei, herauszufinden, welche Pilzarten besonders gefährdet sind, und möglichst die Bedrohung zu verringern.

Wissenschaftler haben bisher etwa 155.000 unterschiedliche Pilzarten identifiziert. Aber es wird geschätzt, dass es mindestens zwei oder sogar mehr als drei Millionen Arten gibt, die noch nicht entdeckt worden sind. Das bedeutet, "dass wir über die meisten Pilzarten so gut wie nichts wissen und dass einige von ihnen vielleicht schon ausgestorben sind, bevor wir sie entdeckt haben", so Veerabahu gegenüber der DW.

Bei der Bewirtschaftung von Wäldern und Grünland und bei geplanten Eingriffen in diese Ökosysteme sollten darum Pilze berücksichtigt werden, damit sie nicht geschädigt werden.

Dazu gehört beispielsweise, dass bei der Abholzung "genügend Bäume und Holzabfälle erhalten werden sollten, um Pilzen einen Nährboden zu bieten". Und dass "Düngung in der Landwirtschaft und auf Weiden eingeschränkt werden sollte, weil Dünger die Anzahl und Artenvielfalt nützlicher Pilze im Boden verringert", so Mueller.

"Wir können es uns nicht leisten, Pilze nicht zu berücksichtigen. Naturschutz ohne Pilze ist unvollständig."

Der Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert von Anke Rasper.

Pilze als Bodenreiniger

DW Akademie | Volontariat Jahrgang 2024 - 2025 |  Anna Chaika
Anna Chaika Journalistin mit Erfahrung in politischen Reportagen, Menschenrechten und Flüchtlingsthemen.