Armenien wählt am 19. Februar 2003 einen neuen Präsidenten
16. Dezember 2002Moskau, 16.12.2002, NESAWISSIMAJA GASETA, russ., Boris Wolkow
Die Anhänger der 16 für das Amt des Präsidenten Armeniens registrierten Kandidaten sammeln in diesen Tagen Unterschriften der Bevölkerung. Gemäß dem Gesetz muss jeder der Kandidaten für die Teilnahme an den Wahlen, die am 19. Februar 2002 stattfinden werden, mindestens 35 000 "Autogramme" sammeln.
Zu denen, die die besten Chancen auf den Sieg haben, gehört auch der jetzige Präsident Robert Kotscharjan. Er wird von der Daschnak-Partei und der Republikanischen Partei unter Vorsitz von Premierminister Andranik Markarjan unterstützt. An der Spitze des Wahlstabs des Präsidenten steht die "rechte Hand" von Kotscharjan – der Verteidigungsminister und Sekretär des Sicherheitsrates Sersch Sarkisjan.
Wie von gut informierten Quellen zu erfahren war, wird Sersch Sarkisjan demnächst in der russischen Hauptstadt eintreffen, um den Besuch von Kotscharjan in Moskau vorzubereiten. Der Standpunkt Moskaus gegenüber den Teilnehmern des Wahlmarathons kann in vielem die Abstimmungsergebnisse bestimmen, da ein großer Teil der Bevölkerung Armeniens auf "die Stimme Russlands" hört. Eben darauf setzt der armenische Präsident.
Im Oppositionslager gibt es zwei wichtige Kandidaten für das Präsidentenamt: den Vorsitzenden der Volkspartei Stepan Demirtschjan, den Sohn des infolge eines Terroranschlags am 27. Oktober 1999 ums Leben gekommenen Vorsitzenden der Nationalversammlung Armeniens Karen Demirtschjan, sowie den Vorsitzenden der Partei "Recht und Einheit" Artasches Gegamjan. Beide Politiker sind in der Bevölkerung hoch angesehen. Der Wahlstab des jetzigen Präsidenten befürchtet vorläufig die Konkurrenz dieser beiden Kandidaten jedoch nicht, da deren Kampf gegeneinander die oppositionell gestimmten Wähler spalten wird. Viele Experten sagen jedoch voraus, dass im Januar einer der Oppositionsführer seine Kandidatur zugunsten des anderen zurückziehen wird. Diese Information wird jedoch vorläufig nicht offiziell bestätigt.
Wie die "Nesawissimaja gaseta" voraussagte, hat sich ein US-Bürger, der ehemalige Außenminister Armeniens Raffi Owanesjan, dem Wahlkampf angeschlossen. Dessen Rolle besteht darin, dem armenischen Wähler eine prowestliche Alternative zu Präsident Kotscharjan zu demonstrieren.
Der ehemalige Präsident Armeniens Lewon Ter-Petrosjan will nicht an den Wahlen teilnehmen. Boris Jelzin war speziell nach Jerewan gereist, um ihn zu überzeugen, nicht in Konkurrenz zum jetzigen Präsidenten zu treten.
Insgesamt ist die Position Russlands gegenüber der Wahlsituation in Armenien jedoch vorläufig unklar. Ein Teil des russischen Establishments unterstützt angeblich Kotscharjan, ein anderer Gegamjan. Wenn Gegamjan tatsächlich als prorussischer Politiker betrachtet werden kann, so ruft die Kandidatur des jetziger Präsidenten viele Fragen hervor. Kotscharjan wird unter anderem aktiv von den USA unterstützt. Und die Amerikaner demonstrieren bekanntlich ihre Sympathie nicht einfach so. In Kotscharjan sehen sie einen Garanten für die Unterzeichnung eines Abkommens über die friedliche Beilegung des Konfliktes um Berg-Karabach eben nach amerikanischem Plan, gemäß dem Armenien die Grenze zum Iran verliert und von proamerikanischen Staaten umzingelt wird. Washington versteht ausgezeichnet, dass der armenische Präsident keine Wahl hat. Wird doch, sollte die Opposition bei den Wahlen siegen, im Terroranschlag vom 27. Oktober 1999 erneut ermittelt. Bekanntlich sind die Ermittlungen in diesem Fall immer noch nicht abgeschlossen. Sollten bei den Wahlen die Anhänger des infolge des Terroranschlags getöteten Premierministers Wasgen Sarkisjan und des Parlamentsvorsitzenden Karen Demirtschjan den Sieg davontragen, so wird die Version der Ermittler über Terroristeneinzeltäter die Wahlen kaum überleben.
Entsprechend den soziologischen Umfragen kann sich die Situation in den zwei bis zu den Wahlen verbliebenen Monaten sowohl zugunsten der einen als auch der anderen Seite ändern. Heute sind 26 Prozent der Wähler bereit, Präsident Kotscharjan ihre Stimme abzugeben, jeweils 10 Prozent einem seiner wichtigsten Rivalen aus dem Lager der Opposition. Die übrigen Kandidaten können vorläufig mit maximal einem Prozent der Stimmen rechnen. Die Soziologen lenken die Aufmerksamkeit jedoch darauf, dass nur 5 Prozent der Armenier gegen alle Kandidaten stimmen werden und weitere 27 Prozent genau wissen, wem sie ihre Stimmen abgeben werden. Sie wollen diese Information jedoch nicht preisgeben. Auf diese Weise haben vorläufig sowohl die Opposition als auch der Präsident die Chance auf den Sieg. Vieles wird von äußeren Kräften abhängen, die die Möglichkeit haben, die Entwicklung der Situation zu beeinflussen. (lr)