Architekturbiennale Venedig: Vom Kampf gegen zu heiße Städte
9. Mai 2025Ob Starkregen oder Hitze, Überschwemmungen oder Dürre: Extremwetter ist längst keine Seltenheit mehr - und das gilt für den gesamten Globus. In Europa, dem Kontinent, der sich durch den menschgemachten Klimawandel am schnellsten erwärmt, starben 2022 über 60.000 Menschen an den Folgen der Hitze. Die meisten hatten zwar eine Vorerkrankung, doch die heißen Temperaturen belasteten den Körper zusätzlich. Im Jahr darauf, dem wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, gab es mehr als 47.000 Hitzetote.
Zahlen, die auch Architekten und Stadtplaner nicht mehr kaltlassen: "Um einer brennenden Welt zu begegnen, muss die Architektur die gesamte Intelligenz um uns herum nutzen", sagt Carlo Ratti, Kurator der 19. Architekturbiennale von Venedig (10. Mai bis 23. November). Die Bauwelt müsse liefern, so der Turiner, nicht irgendwann, sondern jetzt!
"Intelligens. Natural. Artificial. Collective" (Intelligenz. Natürlich. Künstlich, Kollektiv) - der etwas sperrige Slogan verrät denn auch die Idee hinter der diesjährigen Biennale: Die gebaute Welt soll auf den Prüfstand. Dafür muss die Branche ihre Kräfte und vor allem ihr Wissen bündeln - von der Bauindustrie bis zur Stadt- und Gebäudeplanung. Alle Generationen und alle Disziplinen sollen an den Tisch, die Naturwissenschaften ebenso wie die Künste. Grund gibt es allemal: Mit fortschreitendem Klimawandel steigt die Zahl der heißen Tage und damit das Gesundheitsrisiko für die Menschen - besonders in Städten, wo die Hälfte der Weltbevölkerung lebt.
Versiegelte Städte erhitzen sich
Größte Sorgen macht die Überhitzung der Ballungsräume. Die Hauptursache: Viele Städte sind stark versiegelt. Plätze, Einfahrten und andere Flächen sind zugepflastert, betoniert oder asphaltiert. Es gibt zu wenig Bäume, die Schatten spenden und zur Abkühlung der Stadt beitragen. Dunkle Oberflächen speichern die heißen Temperaturen des Tages. Es entstehen Wärmeinseln, die Stadt überhitzt. Hinzu kommt: Bei Starkregen verhindern versiegelte Flächen die Versickerung. Die Kanalisationen kollabieren. Ein Teufelskreis.
Was also tun? "Die Probleme sind bekannt, Lösungen liegen längst auf dem Tisch", sagt Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt am Main, "aber es fehlt an der Umsetzung. Wir sind zu langsam!" Als Beispiel nennt er den Paul-Arnsberg-Platz im Frankfurter Stadtteil Ostend, früher gefürchtet für sein Backofenklima. Nach dem Umbau durchziehen jetzt Beete mit kleinen Bäumchen das Pflastermeer. Die Stadt Frankfurt spricht von einer "dringend notwendigen Klimaanpassung". Architekt Schmal ist noch nicht überzeugt, er findet das Projekt halbherzig: "Ja, die Bäumchen werfen einen ordentlichen Schatten - in 30 Jahren."
Die Verkehrswende von Paris
Klimaanpassung, soviel scheint sicher, ist das Gebot der Stunde. Dafür müssen Kommunen wie auch Bürger zuweilen viel Geld in die Hand nehmen. Woran es mangelt, sind schnelle, unbürokratische Entscheidungen - wie etwa in Paris, das besonders viele Hitzetote zu beklagen hatte. Bürgermeisterin Anne Hidalgo reagierte, indem sie ihrer Stadt eine radikale Verkehrswende verpasste. Das Stadtzentrum wurde verkehrsberuhigt, die Parkgebühren für SUVs wurden verdreifacht, Straßenparkplätze reihenweise entsiegelt und in atmende Grünflächen umgewandelt. In Paris kochte die Volksseele, doch europaweit erntete Hidalgo viel Beifall.
Andere Städte wie Kopenhagen oder Rotterdam bauen sich - auch das vorbildhaft - derweil zur wolkenbruchsicheren "Schwammstadt" um. Dabei wird Regenwasser nicht kanalisiert und abgeführt, sondern Grünflächen und Feuchtgebiete saugen das Wasser wie ein Schwamm auf.
Nichts weniger als eine weltweite "Bauwende" fordert Elisabeth Endres, Professorin für Gebäudetechnologie an der Universität Braunschweig, im DW-Gespräch. Gemeinsam mit der Münchener Architektin Nicola Borgmann, der Landschaftsarchitektin Gabriele G. Kiefer und dem Architekten Daniele Santucci kuratiert sie den Auftritt Deutschlands bei der Architekturbiennale in Venedig. Wer den deutschen Pavillon am Lido betritt, kann am eigenen Leib spüren, wie sich das künftige Stadtklima anfühlt - heiß, bedrückend, gefährlich! "Stresstest", so heißt die immersive Ausstellung, die von einer Filmcollage, reichlich Informationen und Kunstwerken begleitet wird - darunter eine Videoarbeit von Christoph Brech, in der eine Glocke als Mahnung ertönt.
Klimawandel zum Probefühlen
Bei vielen Menschen aber ist die Botschaft, wie es scheint, schon angekommen. In Frankfurt etwa haben sich Klimabewegte verschiedenen Alters zum "Stadt-Farming" zusammengeschlossen. Als selbsternannte "GemüseheldInnen" beackern sie Verkehrsinseln und andere Grünflächen, bauen Obst und Gemüse an. Ein Beitrag zum Klimaschutz sind aber auch Schilder an Berliner Stadtbäumen, die händeringend bitten: "Gieß mich!" Längst ist klimagerechtes Bauen auch Thema von Museumsausstellungen. So führt das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt von Juni an eine ganze Reihe gelungener Projekte vor. Titel der Schau: "Architecture and Energy - Bauen in Zeiten des Klimawandels".
Reicht die Architekturbiennale als Ruck zum Aufbruch? "Der Anstoß wird ganz automatisch kommen", sagt die Braunschweiger Kuratorin Endres. Die Zahlen und Prognosen sprächen für sich: "Wir werden leiden." Und wo der Leidensdruck hoch genug sei, werde auch schnell gehandelt. "Städte, die sich gut vorbereitet haben, werden da gut rauskommen. Andere nicht." Ko-Kuratorin Nicola Borgmann, die die Münchener Architekturgalerie leitet, sagt: "Die Hoffnung, dass sich was bewegt, ist da - nur eben viel schneller, sonst sind die europäischen Städte in ein paar Jahrzehnten nicht mehr bewohnbar."