Antiamerikanische Proteste in Indonesien
12. Oktober 2001Demonstranten protestieren vor der amerikanischen Botschaft in Jakarta gegen die militärische Intervention in Afghanistan. Die Zahl der aufgebrachten Menschenmenge ist überschaubar, aber von Tag zu Tag hat sie zugenommen; erst ein paar Hunderte, nun sind es Tausende.
Die Straßenaufmärsche finden auch außerhalb der Hauptstadt statt, in Yogyakarta, Surabaya und auf Außeninseln wie Sulawesi und Lombok. Die "Front für die Verteidigung des Islam" fordert von der indonesischen Regierung den Bruch mit den USA. Amerikanischen Bürgern wird gedroht, sie gewaltsam aus Indonesien zu vertreiben.
Manifestiert sich da eine erstarkende islamische Front, die gegen den Westen gerichtet ist? Sind das Zeichen einer Radikalisierung des Islam in Indonesien? Die Tendenz ist unverkennbar. Doch Geschichte und Besonderheiten Indonesiens verbieten ein klares, eindeutiges Ja auf diese Fragen.
Die meisten Moslems leben in Indonesien
Die Fakten: Indonesien ist das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung. Von den 210 Millionen Menschen im Archipel bekennen sich mehr als 90 Prozent zum Islam. Die Republik ist ein säkularer Staat, von seiner Verfassung ausdrücklich nicht als Islam-Staat konzipiert. Es gilt Religionsfreiheit. Das war bisher eine wesentliche Voraussetzung für den Fortbestand Indonesiens mit der Verpflichtung im Staatswappen: Die Einheit in der Vielfalt zu bewahren. Toleranz war stets nicht bloß ein hehres Wort, sondern selbstverständlich praktiziertes Mit- und Nebeneinander im Alltag. Darauf waren und sind Indonesier stolz.
Verbindungen zu bin Laden
Allerdings: Längst ist auch in Indonesien der Islam ein Vehikel geworden, das sich politisch instrumentalisieren lässt. Radikale Gruppierungen sorgen seit Jahren für Unruhe und militante Anschläge. Der Organisation "Laskar-Jihad" werden Verbindungen zu Osama bin Laden nachgesagt. Das bleibt im Bereich der Gerüchte. Gesichert ist indes der Zusammenhang zwischen solchen Unruhe-Stiftern im Namen des Islam und den Militärs und Hintermännern aus dem Apparat des im Mai 1998 zurückgetretenen Präsidenten Suharto. Nur so ist zu erklären, wie ungehindert die "Laskar-Jihad"-Schlägertruppen in den Molukken agieren konnten und im östlichen Indonesien den angeblichen Muslim-Christen-Konflikt anheizten. Tausende von Toten auf beiden Seiten waren die Opfer.
Lange Vorgeschichte
Wenn nun, durch die Militärschläge der Amerikaner und Briten in Afghanistan ausgelöst, die Menschen in Indonesien unter dem Banner des Islam auf die Straße gehen, hat das eine lange Vorgeschichte. Die hat etwas mit der amerikanischen Beteiligung am Putsch von 1965 zu tun, die den Sturz des Gründerpräsidenten Sukarno und den Aufstieg des Diktators Suharto zur Folge hatte. Die dubiose Rolle der USA in der Suharto-Diktatur macht verständlich, dass die amerikanische Omnipotenz und Arroganz der Macht, die Präsident Bush bei seinem Amtsantritt dem Rest der Welt deutlich machte, auch bei vielen Indonesiern auf Ablehnung stieß.
Feindbild gesucht
Aber nicht eine rein antiamerikanische Protesthaltung treibt nun Menschen auf die Straße, sondern ihre allgemeine Verunsicherung, die ein Feindbild sucht. Die Gemengelage des Unmuts ist kompliziert. Die Straßendemonstrationen haben sowohl außenpolitische wie innenpolitische Ursachen. Drei Jahrzehnte der Suharto-Herrschaft haben das Land in seinen Grundfesten zerrüttet. Die Verarmung hat zugenommen. Die Hoffnungsträgerin Megawati, seit Juli als Präsidentin im Amt, enttäuschte die Erwartungen ihrer Anhänger. Die Rückbesinnung auf angebliche oder tatsächliche Werte des Islam ist das Verlangen nach Halt in einer haltlos gewordenen Welt. Auch in Indonesien. Vor diesem Hintergrund ist bisher erstaunlich, dass sich Volkeszorn nicht viel lautstärker und massenhaft auf den Straßen entlädt.
Noch protestieren nur kleine Gruppierungen
Zahlenmäßig beschränken sich die öffentlichen Protestaktionen auf kleine Gruppierungen. Die in Großaufnahme abgebildete junge Frau in Jakarta, deren Bild als antiamerikanisch-hasserfüllte Demonstration islamischen Glaubens in den Medien der Welt erscheint, ist nicht repräsentativ für die Mehrheit der Indonesier. Aber niemand vermag zu sagen, welchen Zulauf die Islamisten und militanten Führer noch haben werden. Die Gefahr einer wachsenden Instabilität innerhalb Indonesiens ist offenkundig.