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Analyse der Wahlen in Mazedonien

18. September 2002

– Koalition mit einer der albanischen Parteien in Mazedonien ist Usus

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Köln, 16.9.2002, DW-radio / Mazedonisch

(Zusammenfassung) Dr. Gjorgji Ivanov, Professor der juristischen Fakultät in Skopje, äußerte sich im DW-Interview über das neue Kräfteverhältnis nach den Wahlen in Mazedonien. Er spricht über die Identität des jungen Balkanlandes sowie über seine Probleme in den letzten zwölf Jahren seit seinem Bestehen. Ferner bezog er Stellung zu einer möglichen Koalition zwischen dem Sozialdemokratischen Bund und der Union für Demokratische Integration von Ali Ahmeti.

"Den Wandel werden wir erst später erkennen, und zwar dann, wenn das neue Parlament und die neue Regierung konstituiert sind. Aufgrund der Wahlergebnisse (...) können wir sagen, dass auch in Mazedonien die Politik voraussehbaren Prozessen unterliegt. Dadurch wird auf die Tatsache hingewiesen, dass die jeweilige Regierung die Meinung der Öffentlichkeit und die des einfachen Mannes in Betracht ziehen muss. Mazedonien ist ein kleines Land und daher ist die Meinung der Öffentlichkeit bei Wahlen und bei der Wahlentscheidung von großer Bedeutung. Das Volk kann sie (die Regierung – MD) belohnen, aber auch bestrafen. Die neue Regierung müsste dies für die kommende Legislaturperiode in Betracht ziehen. Insbesondere wenn sie auch nach vier Jahren an der Regierung bleiben möchte. (...)

In den letzten zwölf Jahren waren wir sowohl innerem als auch äußerem Druck ausgesetzt. Dabei wurden unsere Identität sowie der Fortbestand und die Legitimität (unseres Staates) angezweifelt. (...) Die Furcht um das Schicksal dieses Staates bestand vor allem deswegen, weil der Übergang zur Demokratie ein kontinuierlicher Prozess war. (...) Viele post-kommunistische Länder bekamen zunächst eine rechte Regierung. In Mazedonien dagegen war der Übergang kontinuierlich. Da die Infrastruktur der alten Regierung in die neue fließend übergegangen ist, war der Übergang friedlich. Die Furcht bestand jedoch davor, was geschehen würde, wenn diese Kontinuität durchbrochen würde. Denn bei einer rechten Regierung würde der Staat geschwächt werden. (...) Vor vier Jahren kam es nun in Mazedonien zum Bruch mit der Kontinuität, als wir eine rechte Regierung bekamen – eine rechte Koalition aus dem mazedonischen und dem albanischen Block. Es hat sich allerdings gezeigt, dass der Staat in diesen vier Jahren alle Ereignisse überstehen und fortbestehen konnte. Er ist zwar verletzt und schwach, aber die hohe Wahlbeteiligung ist als Antwort auf die vergangene Zeit zu betrachten. Dies war eine wichtige Lektion in Demokratie. Das Volk möchte über sich selbst herrschen. Es entscheidet darüber, wer in seinem Namen regiert. Daher muss eine Regierung begreifen, dass sie dem Volk dient. Regierungen sind zwar dazu befugt, im Namen des Volkes zu regieren, wenn das Volk aber in irgend einem Bereich Ungerechtigkeiten verspürt, dann kann es auch bestrafen. (...)

Es ist unter mazedonischen Politikern Brauch, mit einer der albanischen Parteien zu koalieren. Dies ist als Ausdruck des guten Willens zu verstehen. Dahinter verbirgt sich der Wunsch, (...) auch die Interessen dieser Bevölkerungsgruppe in der Staatsführung zu wahren. Die Ankündigung, mit den Albanern zu koalieren, ist Usus, und der Usus ist stärker als das Gesetz und stärker als die Verfassung. Mittels des Ohrider Rahmenabkommens wurde versucht, diesen Brauch in die Verfassung einzubinden. Allerdings glaube ich, dass sich die Albaner damit eher geschadet haben. Denn auf dem Balkan wird auch heute noch das gegebene Wort eingehalten. Die Ankündigung einer Koalition mit Ahmeti ist ein Zeichen dafür, dass die Bereitschaft dazu besteht, sie einzugehen. Allerdings nicht bis zum Äußersten. Diese Koalitionsbereitschaft bezieht sich auf die Leute, die dem Staat keinerlei Schaden zugefügt haben. In der politischen Realität wird wahrscheinlich der Pragmatismus überwiegen. Daher werden wahrscheinlich nicht unter allen Umständen Leute in die Regierung geholt, die nach Ansicht der Bevölkerung die Hand gegen das Volk erhoben haben – unabhängig davon, ob sie nun Albaner oder Mazedonier sind. Denn der Staat ist das Produkt dieses Volkes, und wenn Sie auf einen Polizisten oder auf einen Soldaten schießen, dann schießen Sie auf Ihr eigenes Volk. Doch dies wird erst noch erörtert werden. Die Opposition wird sich wahrscheinlich auch zu Wort melden, und bei jedem falschen Schritt wird die Regierung dadurch bestraft, dass die öffentliche Meinung wieder in den Vordergrund tritt und Einfluss ausübt (...). Es wird Repressionen geben, wie es sie immer gegeben hat, wenn es um Schlüsselfragen für den Staat ging. (...)" (Interview: Nada Steinmann) (md)