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"An die Pressefreiheit erinnern die sich nur, wenn es nützlich ist"

14. April 2004

Oleg Panfilow zum Verhalten der Präsidenten der GUS-Staaten gegenüber den Medien

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Moskau, 8.4.2004, NESAWISSIMAJA GASETA, russ., Oleg Panfilow

Oleg Walentinowitsch Panfilow ist Direktor des Zentrums für Journalismus in extremen Situationen.

In der letzten Zeit ist etwas mit den Präsidenten der GUS-Staaten passiert, die plötzlich entschieden haben, sich mit den Problemen der Medien zu befassen. Als erster ordnete Leonid Kutschma an, dass die Steuerbehörden die Massenmedien während der Wahlkampagne in Ruhe lassen. Fast gleichzeitig erklärte Vladimir Voronin, dass aus dem Strafgesetzbuch Moldovas der Artikel 170 "Über Verleumdung" gestrichen werden muss, der eine Haftstrafe von bis zu 5 Jahren vorsieht, und beauftragte das Parlament, eine entsprechende Gesetzesinitiative zu unterbreiten.

Die Staatliche Steueradministration der Ukraine [ukrainische Abkürzung: GNAU] hat davon Abstand genommen, Massenmedien vor dem Ende der Präsidentschaftswahlkampagne 2004 zu inspizieren. Und der GNAU-Vorsitzende hat eine Verordnung unterzeichnet, mit der er die Leiter der Staatlichen Steueradministrationen verpflichtet ..., "keine Inspektionen in den Subjekten unternehmerischer Tätigkeit – den Massenmedien – während der Präsidentschaftswahlkampagne in der Ukraine durchzuführen".

Vor drei Jahren unterbreitete der Präsident Kirgisistans, Askar Akajew, eine interessante Initiative. Er legte dem Parlament der Republik einen Gesetzentwurf vor, der von der strafrechtlichen Verfolgung der Journalisten wegen Verleumdung absieht. Der Gesetzentwurf des Staatsoberhauptes sah vor, dass die ungewissenhaften Journalisten nicht strafrechtlich, sondern administrativ bestraft werden. (...) Die kirgisischen Abgeordneten lehnten den Gesetzentwurf tapfer ab, aber der hartnäckige Askar Akajew hat in diesem Jahr den gleichen Versuch noch einmal unternommen. Das Ergebnis ist vorläufig unbekannt.

Klar ist jedoch, wieso die Machthaber Weißrusslands bezüglich der Initiativen der Journalisten schweigen, die regelmäßig daran erinnern, dass es im Strafgesetzbuch des Landes drei (!) Artikel gibt, die Strafen wegen "Verleumdung des Präsidenten der Republik Weißrussland" (Artikel 367), "wegen Beleidigung des Präsidenten der Republik Weißrussland" (Artikel 368) und wegen "Beleidigung eines Vertreters der Macht" (Artikel 369) vorsehen. Ähnliche Strafmaßnahmen sieht auch das Strafgesetzbuch Kasachstans vor. Sowohl in Weißrussland als auch in Kasachstan wurden bereits einige Fälle registriert, in denen Strafverfahren gegen Journalisten eben gemäß diesen Artikeln eingeleitet wurden.

Im letzten Jahr hat in Paris eine Konferenz der OSZE und der Reporter ohne Grenzen stattgefunden, die nicht nur der Situation mit der Verfolgung von Journalisten in Ländern mit einer noch nicht gefestigten Demokratie gewidmet war. Es ging unter anderem auch um Russland, wo die Zahl der Strafverfahren gegen Journalisten in den letzten vier Jahren kontinuierlich steigt.

Freimut Duve, der damalige OSZE-Beauftragte für die Freiheit der Medien, charakterisierte das Problem der gegenseitigen Beziehungen zwischen den Machthabern und den Medien wie folgt: "Solche Gesetze spornen die Journalisten des Öfteren zur Selbstzensur an und lassen sie Abstand von der Aufklärung von Fällen nehmen, die etwas mit Korruption zu tun haben, weil sie Angst haben, wegen Verleumdung verfolgt zu werden."

Egal, was die Präsidenten der GUS-Staaten über ihre Rolle beim Aufbau demokratischer Gesellschaften sagen (darunter auch diejenigen, die vom eigenen Weg Richtung Demokratie sprechen, z. B. Islam Karimow oder Turkmenbaschi), es ist ein klares Übereinstimmen des persönlichen Verhaltens gegenüber den unabhängigen Medien mit der gesunden Notwendigkeit zu beobachten – um z. B. finanzielle und geopolitische Dividenden zu bekommen.

Das Staatsoberhaupt Usbekistans hat während seiner Präsidentschaft nicht nur die Annahme einiger ganz liberalen Gesetze initiiert, die die Tätigkeit der Massenmedien regeln, es ruft die Journalisten auch regelmäßig auf, mutiger zu sein. Diese Knickse sind gewöhnlich bei wichtigen zwischenstaatlichen Verhandlungen mit dem Westen zu beobachten, später kehrt jedoch alles in die alte Bahn zurück. Im Land gibt es weiterhin keine unabhängigen Medien, die imstande wären, ohne Rücksicht auf die Beamten zu überleben.

Über Turkmenbaschi ist es sogar uninteressant, etwas zu schreiben. Der feudale Staat ist Mitglied internationaler Organisationen – der UNO und der OSZE, aber diese verfügen über keine Hebel, mit denen sie Druck auf den Diktator ausüben könnten, der lediglich von den reichen Gasvorräten lebt. (...) Je reicher das Land, desto mehr Probleme mit der Freiheit des Wortes: Aserbaidschan, Kasachstan, Turkmenistan und letztendlich Russland. Und das Gegenteil - vergleichsweise besser ist die Situation mit der Pressefreiheit in Georgien, Tadschikistan und Armenien.

Ja, wieso haben sich denn die Präsidenten an die Nöte der Journalisten erinnert? Sind ihnen die Rechte und Freiheiten der Medien tatsächlich so wichtig? Wieso erinnern sich diejenigen, die 4 oder sogar 13 Jahre lang an der Spitze ihrer Staaten stehen, erst jetzt an die Journalisten, die auf der Anklagebank oder bereits im Gefängnis sitzen? Ich denke, nach dem Grund muss nicht in der plötzlichen liberalen Erleuchtung, sondern im gewöhnlichen Pragmatismus gesucht werden. Leonid Kutschma möchte wahrscheinlich seine Präsidentschaft als "Demokrat" beenden, bei Vladimir Voronin gestalten sich die Beziehungen zum Europarat und zur OSZE beim Transnistrien-Problem nicht schlecht, bei Askar Akajew und Emomali Rachmonow, der ebenfalls plötzlich beschlossen hat, die Medien von Steuern zu befreien, sehen die Wirtschaftsperspektiven sehr traurig aus, ohne die finanzielle Unterstützung westlicher Staaten wird es kaum gelingen, die Situation zu verbessern.

Es muss nur noch die Antwort auf die wichtigste Frage gegeben werden: Was ist für die Präsidenten der GUS-Staaten wichtiger, eine liberale Kampagne durchzuführen oder sich an die eigenen Verfassungen und die Verpflichtungen vor der Weltgemeinschaft zu erinnern? Was hat sie daran gehindert, schon einen Tag nach der Vereidigung auf die Verfassung ihrer Staaten zur freien Entwicklung der Medien beizutragen? (lr)