Amnestie in Usbekistan
28. Januar 2004Bonn, 28.1.2004, DW-RADIO / Russisch
Die unabhängige Menschenrechtsorganisation Usbekistans hat vor wenigen Tagen eine Erklärung verbreitet. In dem Dokument wird erklärt, dass im Rahmen der jüngsten Amnestie aus dem Taschkenter Frauengefängnis 21 muslimische Frauen entlassen wurden. Jedoch wurden drei Frauen, die auch unter die Amnestie fallen, bislang nicht freigelassen und aus irgendwelchen Gründen gefangengehalten. Die Menschenrechtler gehen davon aus, dass der Grund für die Inhaftierung der erfundene Vorwurf ist, gegen die Ordnung verstoßen zu haben. Der Menschenrechtsorganisation liegen Informationen vor, wonach diese Methode im usbekischen Strafvollzug häufig angewandt wird. Die Haftstrafen werden auf diese Weise gesetzwidrig verlängert und gewisse Gefangene nicht amnestiert. Die Menschenrechtler haben sich bereits mehrfach in den vergangenen Jahren an verschiedene Stellen mit der Forderung gewandt, die Willkür zu stoppen, aber bislang ohne Erfolg. Angaben von amnestierten Frauen zufolge herrscht im Taschkenter Gefängnis immer noch eine grobe, an psychischen Terror grenzende Behandlung der Insassen durch das Personal der Haftanstalt. Die medizinische Versorgung ist schlecht und die Arbeitsbedingungen der Gefangenen gesundheitsgefährdend.
Einzelheiten in einem Bericht von Jurij Tschernogajew und Natalija Buschujewa:
In diesen Tagen werden im Rahmen der Amnestie 1363 Häftlinge usbekische Gefängnisse verlassen. Das ist eine der größten Amnestien der vergangenen Jahre. Im Unterschied zu den vorangegangenen kommen nun aber Menschen fei, die von Menschenrechtlern als Gewissenshäftlinge bezeichnet werden. Mit anderen Worten, dabei handelt sich um Menschen, die wegen religiösem Extremismus verurteilt wurden. Unter den 1268 Gefangenen, die nach Hause zurückgekehrt sind, befinden sich 122 Frauen, von denen 21 Musliminnen sind und die wegen der Mitgliedschaft in einer verbotenen religiösen Organisation zu Freiheitsstrafen zwischen drei und 16 Jahren verurteilt waren. Erstmals in der Geschichte des usbekischen Strafvollzugs erhielten Musliminnen die Möglichkeit, der Öffentlichkeit über das Leben hinter Gittern zu berichten. Dazu äußerten sie sich auch in Interviews für die Deutsche Welle.
In Usbekistan gibt es nur ein Frauengefängnis. Ironie der Geschichte ist es, dass es sich wegen des Wachstums Taschkents unweit des Stadtzentrums befindet. Das Gefängnis mit seiner mit Stacheldraht versehenen Mauer liegt mitten in einem Stadtbezirk. Der Wind weht Blütenblätter auf das Grundstück des Gefängnisses und die Häftlinge können auch Stimmen von außen hören.
Wie viele inhaftierte Frauen es in Usbekistan gibt, sagte der Deutschen Welle der Vorsitzende der unabhängigen Gesellschaft für Menschenrechte Usbekistans, Michail Ardsinow: "Im Jahre 2001 gab es 1500 inhaftierte Frauen, 2002 waren es 1400 und im vergangenen Jahr 1300. Das heißt, die Anzahl der inhaftierten Frauen ist in Usbekistan rückläufig."
Nachdem vor einem Jahr der UN-Sonderberichterstatter Theo van Boven Usbekistan besucht hatte, änderten sich die Haftbedingungen. Dazu der Menschenrechtler Michail Ardsinow: "Aus den Gesprächen mit den amnestierten Frauen ging hervor, dass sich in den vergangenen zwei Jahren die Haftbedingungen verbessert haben. Trotzdem kommt es noch zu sehr vielen Verstößen gegen die Rechte der Gefangenen."
Bekanntlich erarbeiten sich in den Gefängnissen die Häftlinge ihren Lebensunterhalt selbst. Im Taschkenter Frauengefängnis stellen die Insassen Matratzen her. Michail Ardsinow sagt in diesem Zusammenhang: "Dort gibt es eine Fabrik, wo Matratzen und Decken aus Baumwolle produziert werden. Dort ist es staubig. Die Luft ist ständig voller Baumwollstaub. Das schadet den Lungen und den Atemwegen sehr. Es gab viele Beschwerden."
Jedoch bedrücken nicht diese schweren Bedingungen die Frauen, sondern das Bewusstsein, völlig wehrlos zu sein. Schachnosa Musajewa, die als Kindergärtnerin tätig war, wurde zu sieben Jahre Haft verurteilt. Ins Gefängnis kam sie auf folgende Weise: "Ich bin der Rolle der Frau im Islam nachgegangen. Bei mir fanden sie ein Buch der Hisb-ut-Tahrir. Diese Organisation ist in Usbekistan verboten und verfassungswidrig. Wegen dieses Buchs kam ich ins Gefängnis. Ich erhielt eine siebenjährige Freiheitsstrafe. Abgesessen habe ich vier Jahre und acht Monate."
Die ersten Eindrücke im Gefängnis waren für Schachnosa Musajewa schockierend: "Anfangs war es so, dass, als wir das Namaz beteten, uns die Kleider vom Leib gerissen wurden. Dort gab es Wachen. Sie betraten die Räume, und diese sind groß, für etwa 60 bis 70 Personen, und als wir das Namaz beteten, hatten sie es uns verboten. Sie sagten uns: ‚Ihr dürft nur während der Freizeit beten.‘ Dabei rissen sie uns die Kleider vom Leib. Sie sagten: ‚Jetzt sieht Dich Dein Gott nicht mehr, Du bist nackt! Gott wird Dein Namaz trotzdem nicht hören. Schluss damit!‘ Bei uns gilt, dass man das Namaz-Gebet nicht unterbrechen darf, deswegen beteten wir weiter, bis zum Ende. Danach wurden wir in den Personaltrakt geführt, wo uns vorgeworfen wurde, wir würden uns nicht unterordnen. Sofort wurde ein Bericht verfasst."
Wie in jedem Gefängnis versuchen die Wachen alle zu zügeln. In diesem Kampf leidet vor allem die Würde gläubiger Frauen. Schachnosa Musajewa dazu: "Sie betrachteten uns als wütende Täter. Dort gab es auch Gaunerinnen. Sie waren, um Genuss zu erhalten, zu allem bereit. Die Gläubigen, die beteten, betrachtet man auch als böse Täter. Jetzt ist Gott sei Dank alles vorbei, Hunger und Kälte. Wir haben dort den ganzen Körper unterkühlt. Es war sehr kalt. Die Heizung war schlecht. Anfangs fiel es schwer, dort zu essen. Es gab mit Wasser gekochten Graupenbrei, zwei Löffel. Brot gab es sehr wenig.
Schachnosa Musajewa verliert aber nicht ihren Optimismus: "Wenn man dort ist, denkt man viel nach. Es gibt keinen Menschen ohne Fehler. Ich habe auch meine Fehler eingesehen. Jetzt möchte ich den Rest des Lebens mit den Kindern verbringen und sie erziehen, damit sie meine Fehler nicht wiederholen."
Der Alptraum des Gefängnisses ist für Schachnosa Musajewa vorbei. Aber nach Angaben der unabhängigen Gesellschaft für Menschenrechte Usbekistans befinden sich mindestens drei Musliminnen, die auch amnestiert werden müssten, noch hinter Gitter. Die ehemalige Inhaftierte und Menschenrechtlerin Machbuby Kasymowa sagte dazu: "Dort befindet sich eine Frau. Ich habe sie gesehen und kenne sie. Sie hat gegen nichts verstoßen. Sie war 20 Jahre als medizinische Angestellte tätig. Sie ist selbst Ärztin. Ich weiß aber nicht, warum sie vergangenes und dieses Jahr nicht amnestiert wurde. Sie ist schon 59 Jahre alt. Die Amnestie dauert noch an, vielleicht kommt sie noch frei, vielleicht aber auch nicht." (MO)