Afghanische Frauenorganisation RAWA
18. Oktober 2001Ein gut besuchtes Fußballstadion in Kabul. Doch Fußball wird hier nicht mehr gespielt. Toyota-Pickups fahren ins Stadion, beladen mit drei in Ganzkörperschleier gehüllte Frauen. Taliban-Funktionäre lassen eine der Frau auf der Elfmeterlinie niederknien. Dann schießt ein Taliban der Frau aus nächster Nähe in den Hinterkopf. Ihr Vergehen: Ehebruch.
Ein Video, aufgenommen von einer Zuschauerin, die unter ihrem Schleier eine Videokamera versteckt hatte. Sie ist Mitglied von RAWA, der "Revolutionären Vereinigung der Frauen Afghanistans". Eines der Anliegen von RAWA ist es, das Leiden der Frauen unter der Taliban-Herrschaft zu dokumentieren. Heimlich und unter Lebensgefahr filmen RAWA-Mitglieder in Afghanistan, um der Welt die menschen- und vor allem frauenverachtende Taliban-Politik vor Augen zu führen. Außerdem betreibt RAWA in Afghanistan geheime Mädchenschulen, denn die Taliban haben Arbeit und Bildung für Frauen verboten.
Humanitäre Einrichtungen in Afghanistan und Pakistan
Auch in pakistanischen Flüchtlingslagern ist RAWA aktiv: Hier unterhält die Organisation zahlreiche Schulen, Waisenhäuser, Frauenhäuser und Krankenstationen. Die Arbeit wird allerdings oft von Taliban-Anhängern in den Flüchtlingslagern sowie den pakistanischen Behörden behindert. RAWA finanziert sich durch Spenden aus dem Ausland und durch den Verkauf von Handarbeiten, die von afghanischen Flüchtlingsfrauen angefertigt werden.
RAWA wurde bereits 1977 als Gruppe afghanischer Frauenrechtlerinnen gegründet. Geführt wurde RAWA von einer charismatischen Studentin und Feministin, die von ihren Anhängerinnen immer nur mit ihrem Vornamen Mina genannt wird. Mina wurde 1987 im pakistanischen Quetta vom KHAD, dem kommunistischen Geheimdienst Afghanistans, ermordet. RAWA hatte gegen die sowjetische Besetzung Afghanistans von 1979 bis 1989 opponiert. Nach dem Abzug der Sowjets ging RAWA mit friedlichen Mitteln gegen den Fundamentalismus der Mudschahedin und später der Taliban vor.
"Keine Kriegsherren unterstützen"
Allerdings hatte RAWA es schwer, sich das Gehör der Weltöffentlichkeit zu verschaffen. So warnte RAWA immer wieder vergebens westliche Länder davor, afghanische Kriegsherren zu unterstützen. Dazu zählen sie neben den Taliban vor allem die Islamische Partei von Gulbuddin Hekmatyar sowie die Kämpfer der Nord-Allianz. "Meiner Meinung nach sind Taliban und Nordallianz das gleiche", sagt Marina Matin, Pressesprecherin von RAWA im pakistanischen Quetta. Die Nord-Allianz-Führer sind Taliban ohne lange Bärte. Es gibt keinen Unterschied zwischen ihnen - beide sind kriminell."
Als die Milizen der heutigen Nordallianz sich zwischen 1992 und 1996 einen blutigen Bürgerkrieg um die Hauptstadt Kabul lieferten, waren vor allem Frauen Opfer marodierender und plündernder Soldaten. Vergewaltigungen und Misshandlungen waren an der Tagesordnung. Als die Taliban Ende 1996 Kabul eroberten, verschlimmerte sich die Lage für afghanische Frauen. Ihnen wurde ein totales Berufs- und Bildungsverbot auferlegt. Tausende von Kriegswitwen konnten sich und ihre Kinder nicht mehr ernähren.
"Fundamentalismus ausmerzen"
RAWA hat nach eigenen Angaben über 2000 Mitglieder und Hunderttausende von Anhängern in Afghanistan und in den pakistanischen Flüchtlingslagern. Marina Matin wünscht sich für die Zukunft ein demokratisches Afghanistan und spricht sich gegen jede Beteiligung von Fundamentalisten aus: "Wir wollen den Fundamentalismus nicht reformieren, wir wollen den Fundamentalismus ausgemerzt sehen. Und wir sind entschlossen, das zu tun. Demokratie ist die einzige Lösung für die Probleme in Afghanistan. Politisch sehen wir RAWA deshalb als demokratische und feministische Frauenorganisation."
Allerdings macht sie sich auch keine großen Illusionen darüber, was eine aktive Beteiligung an der politischen Neugestaltung Afghanistans angeht. "Wir glauben nicht daran, irgendeine Rolle in einer zukünftigen Regierung spielen zu können", so Marina Matin. "Wir würden zwar gerne, aber wir sind da nicht allzu optmistisch."
Ihre Hauptaufgabe sieht RAWA erstens im humanitären Bereich und zweitens in der Ausbildung von afghanischen Frauen. Diese sollen auf ein Leben in einem freien Afghanistan vorbereitet werden. Dazu gehören auch Projekte wie Englisch- und Computerkurse für Frauen. Es fehlen aber die finanziellen Mittel, um alle gewünschten Projekte zu verwirklichen. Daher unternimmt RAWA große Anstrengungen, sich einer breiteren Weltöffentlichkeit zu präsentieren und um Unterstützung zu werben.