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Musik

Afghan Youth Orchestra: Widerstand gegen die Taliban

Gaby Reucher
14. August 2025

In ihrer Heimat ist Musik verboten. Nach Flucht und Verbannung spielt das Afghanische Orchester beim Festival Young Euro Classic ein bewegendes Programm über Verlust, Hoffnung und die Kraft der Musik gegen das Vergessen.

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Young Euro Classic 2025 | Programmfoto | Afghan Youth Orchestra im Exil
Das Afghan Youth Orchestra ist mit 51 Musizierenden beim Young Euro Classic dabeiBild: Jennifer Taylor

Sie spielen für ihr Land, die Hoffnung und die Freiheit. Allein, dass es das "Afghan Youth Orchester" gibt, ist schon ein Widerstand gegen die Herrschaft der Taliban. Im August 2021, als die Taliban in Afghanistan erneut die Macht ergriffen haben, ist es einem ganzen Orchester gelungen, nach Europa zu fliehen. Die jungen Musikerinnen und Musiker des "Afghanistan National Institute of Music" (ANIM) haben seit vier Jahren in Portugal eine neue Heimat gefunden und sind zu Gast beim Young-Euro-Classic-Festival in Berlin.

"In Afghanistan Instrumente herzustellen und zu musizieren, ist komplett verboten", sagt Ahmad Sarmast, Gründer und Direktor des ANIM im Gespräch mit der DW. 273 Menschen aus dem Umfeld seiner Musikschule konnte er nach eigenen Angaben die Flucht aus Afghanistan ermöglichen. In Kabul wurden seine Musikschule geschlossen und die Instrumente zerstört. "Musik zu hören und auszuüben, ist ein Menschenrecht. Dieses Recht wird der Bevölkerung in Afghanistan verweigert" sagt Sarmast. "Dadurch ist mein Land eine 'stille Nation' geworden."

Young Euro Classic will Musiktraditionen bewahren

Im Exil aber lebt die afghanische Musik weiter, auch beim Young Euro Classic in Berlin. Jedes Jahr treten Hunderte junge Musizierende aus aller Welt bei dem internationalen Jugendorchester-Festival auf. Neben europäischen Orchestern sind auch außereuropäische Ensembles dabei. "Der Kern des Festivals bleibt die Sinfonik und wie unterschiedlich die Länder mit dieser Tradition der klassischen Musik umgehen", sagt Projektleiterin Carolin Trispel der DW.

Frau singt mit Mikrofon, Mann justiert Regler an einem Synthesizer.
Das Samische Duo "Ale, Ale!" kombiniert traditionelle Musik mit Synthesizer-KlängenBild: MUTESOUVENIR | KAI BIENERT

Mittlerweile hat sich das Spektrum erweitert. In der noch jungen Reihe "Festival im Festival" treten Ensembles vorrangig mit Musik aus ihrer Heimat auf und spielen auf traditionellen Instrumenten ihrer Kultur. "Wir sind auch daran interessiert, Musiktraditionen für die Zukunft zu erhalten und eine Plattform zu bieten, diese weiterzuentwickeln", sagt Trispel. In diesem Jahr sind neben afghanischen Musikern und Musikerinnen auch Ensembles aus Bolivien, Indonesien, Indien, Gambia und dem indigenen Volk der Samen aus dem Norden Skandinaviens dabei.

Die verbotene Musik

Einige dieser Ensembles spielen traditionelle Musik, die in der jeweiligen Heimat verboten war. So auch der Gesang der Samen, das "Joiken". Dieser spirituell anmutende Sprechgesang war vom 18. bis ins 20. Jahrhundert als Ausdruck einer nicht-christlichen Religion untersagt. "Man sieht das oft bei indigenen Völkern, dass ihre eigene musikalische Sprache durch die Kolonialisierung unterdrückt wurde und die musikalische Tradition nicht mehr ausgeübt werden durfte", sagt Carolin Trispel.

Eine Frau und ein Mann spielen Panflöten.
Das Ensemble Dos Pares de la OEIN aus Bolivien spielt neue Musik auf den traditionellen InstrumentenBild: MUTESOUVENIR | KAI BIENERT

Das bolivianische Ensemble "Dos Pares de la OEIN" spielt alte Weisen aus den Anden sowie neue Stücke, die eigens für ihre traditionellen Instrumente komponiert wurden. Das afghanische "Azada-Ensemble", eine Gruppe des Jugendorchesters,  bietet traditionelle Musik und Tänze. Es geht um die Verbindung zwischen Mensch und Natur, um die Schönheit des Landes und der Musik.

Protest gegen die Politik der Taliban

Im Rahmen des Campus-Projekts beim Beethovenfest war das Afghan Youth Orchester zusammen mit iranischen Musikerinnen und Musikern 2023 in Bonn zu Gast. Eingeladen hatten das Beethovenfest, das Bundesjugendorchester und die DW. "Als wir nach Bonn kamen, war nicht das ganze Orchester dabei, sondern nur ein Teil", sagt der Begründer des Orchesters Ahmad Sarmast. In Berlin tritt jetzt das gesamte Orchester mit 51 Mitgliedern beim Young Euro Classic auf und gestaltet das Abschlusskonzert. "Jedes Stück, das wir spielen, ist in gewisser Weise verbunden mit der aktuellen Situation in Afghanistan und der Politik der Taliban", sagt Sarmast.

In den Liedern, die das Afghan Youth Orchester spielt, geht es unter anderem um den Zusammenhalt der Bevölkerung. "Ein Lied ist ein Aufruf an die afghanischen Männer, die unterdrückten Frauen dort bei ihrem Kampf für Freiheit und Gleichberechtigung zu unterstützen", erläutert Sarmast. Der junge portugiesische Dirigent und Leiter des Orchesters, Tiago Moreira da Silva, hat die Lieder arrangiert.

Ensemble sitzt auf abgedunkelter Bühne mit traditionellen Trommeln Lauten und Blasinstrumenten.
Auch traditionelle afghanische Stücke, die das Ensemble Azada spielt, haben die Taliban verboten Bild: ANIM

Mit Musik gegen das Vergessen

Ein bekanntes traditionelles Stück verbinden die Afghanen mit dem Neujahrsfest. Das Fest und die Musik haben die Taliban verboten. "Das wurde in Afghanistan seit tausenden Jahren gefeiert", erläutert Sarmast. "Das Stück zu spielen, ist ein Protest nach der Demontage der kulturellen Tradition durch die Taliban in Afghanistan."

Portrait Dr. Ahmad Sarmast, Gründer des Afghanistan National Institute of Music
Ahmad Sarmast hat den Mitgliedern des "Afghanistan National Institute of Music" zur Flucht vor den Taliban verholfenBild: ANIM

Das letzte Lied des Konzerts beruht auf einem bekannten persischen Frühlingsgedicht. Es handelt von der Rückkehr des Frühlings und symbolisch gesehen von der Rückkehrt des Friedens. Ahmad Sarmast zitiert den chilenischen Dichter und Freiheitskämpfer Pablo Neruda: "Ihr könnt die Blumen und Bäume abschneiden, aber der Frühling kommt immer wieder, die Freiheit, könnt ihr nicht aufhalten." Über die sozialen Medien hält das Orchester Kontakt in die Heimat, auch mit Streams von Konzerten. 

"Die Hoffnung lebt fort", beteuert Ahmad Sarmast. Ohne Hoffnung könne man nicht leben. "Wir wollen die Taliban wissen lassen, dass es bisher kein Unterdrücker-Regime in der Geschichte der Menschheit geschafft hat, an der Macht zu bleiben. Und das wird auch mit den Taliban so sein."