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Bundestag beschließt größtes Schuldenpaket seiner Geschichte

18. März 2025

Union, SPD und Grüne haben das Vorhaben noch mit ihrer Zweidrittelmehrheit im alten Bundestag auf den Weg gebracht. Eilanträge gegen dieses Vorhaben hatten beim Bundesverfassungsgericht keinen Erfolg.

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Unionsfraktionschef Friedrich Merz am Rednerpult des Bundestages
Braucht Geld für eine künftige Koalition: Unionsfraktionschef Friedrich MerzBild: Jörg Carstensen/picture alliance

Der Deutsche Bundestag hat das größte Schuldenpaket seiner Geschichte beschlossen. Knapp einen Monat nach der vorgezogenen Wahl billigte das Parlament in alter Zusammensetzung das Finanzpaket der konservativen Union aus CDU und CSU sowie der sozialdemokratischen SPD, die derzeit über eine mögliche Koalition verhandeln.

Mit 512 Ja- und 206 Nein-Stimmen machten die Abgeordneten den Weg frei für Verteidigungsausgaben in praktisch unbegrenzter Höhe, eine 500 Milliarden Euro umfassende Kreditlinie für Investitionen in die Infrastruktur sowie eine künftige eigene Verschuldung der Bundesländer. Es gab keine Enthaltungen. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit wurde damit in der namentlichen Abstimmung erreicht.

CDU-Chef Friedrich Merz verteidigte die Pläne vor dem Hintergrund von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Bedrohung von Europas Sicherheit, die sich daraus ergebe. Das Finanzpaket eröffne "eine Perspektive für unser Land, die in der Zeit, in der wir heute leben, dringend geboten ist." Deutschlands Stärkung im Verteidigungsbereich sei dabei "der erste große Schritt hin zu einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft", sagte Merz. Auch wenn viele mit einem so weitreichenden Schritt rängen, könne seine Fraktion die nötigen Grundgesetzänderungen "mit gutem Gewissen beschließen".

Dobrindt (CSU): "Augen Moskaus auf Berlin gerichtet"

"Die Entscheidung heute ist das unmissverständliche Signal einer deutschen Verantwortungsübernahme für ein sicheres Europa und ein wirtschaftlich stabiles Deutschland", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. "Heute richten sich nicht nur die Augen Europas nach Berlin, sondern auch die Augen aus Washington und die Augen aus Moskau."

SPD-Chef Lars Klingbeil am Rednerpult des Bundestages, auf der Regierungsbank Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Jörg Kukies (von rechts nach links)
Lobt einen "historischen Kompromiss": SPD-Chef Lars KlingbeilBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

SPD-Chef Lars Klingbeil sagte, das Finanzpaket sei ein "historischer Kompromiss" zwischen SPD, CDU/CSU und Grünen. Er verteidigte dabei die massive Schuldenaufnahme. Nicht diese belaste aber die Bürgerinnen und Bürger - vielmehr wären es die massiven Defizite bei Infrastruktur, Klimaschutz und Verteidigung, wenn nicht gehandelt würde. Die Sicherheitslage habe sich "dramatisch verschärft", sagte Klingbeil. Europa stehe dabei "auf der einen Seite neben einem aggressiven Russland und auf der anderen Seite neben unberechenbaren Vereinigten Staaten von Amerika".

Brantner (Grüne): "Werden keine Ausreden durchgehen lassen"

Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann rechtfertigte die Billigung des Pakets mit den ausgehandelten Zugeständnissen von Union und SPD. Sie griff aber auch Merz direkt an: Er und seine Union hätten die Grünen im Wahlkampf wegen ihrer Forderung nach einer Reform der Schuldenbremse massiv kritisiert und "diffamiert" - nach Merz' Wahlsieg komme nun die Kehrtwende. Die grüne Parteichefin Franziska Brantner betonte an Merz und die künftige Regierung gerichtet, am Geld dürfe Klimaschutz nun nicht mehr scheitern: "Wir werden Ihnen keine Ausreden durchgehen lassen. Wir werden unnachgiebig sein."

Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck spricht mit den Fraktionschefinnen Britta Haßelmann (links) und Katharina Dröge, die von hinten zu sehen sind
Erfolgreiche Verhandler: Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck, vorne die Fraktionschefinnen Britta Haßelmann (links) und Katharina DrögeBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Der Fraktionsvorsitzende der wirtschaftsliberalen FDP, die bei der Wahl an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert war, warf dem voraussichtlich künftigen Kanzler Merz vor, er führe "die erste Schuldenkoalition der Bundesrepublik Deutschland". Christian Dürr erklärte weiter, die durch den CDU-Chef versprochene Wirtschaftswende werde es nicht geben. Merz wolle an die Spitze einer Regierung treten, die den "Wohlstand von morgen" für "kurzfristige Wahlgeschenke" zu opfern bereit sei.

Chrupalla (AfD): "Würdeloses" Vorgehen

Der Partei- und Fraktionschef der rechtspopulistischen AfD, die ihr Ergebnis bei der Wahl verdoppelt hatte, sagte, Merz sei "jedes Mittel recht", um Bundeskanzler zu werden. Tino Chrupalla betonte, statt Schulden in nie dagewesener Höhe aufzunehmen, brauche es einen "ehrlichen Kassensturz". Merz mache sich den Staat "wirklich sprichwörtlich zur Beute", sein Vorgehen sei "würdelos".

Sören Pellmann, Gruppenvorsitzender der Linken, spricht an einem Mikrofon im Bundestag
"Geschürte Angst vor Bedrohung und Krieg": Sören Pellmann, Gruppenvorsitzender der LinkenBild: picture alliance/dpa

Der Gruppenvorsitzende der Linken, Sören Pellmann, warf Union, SPD und Grünen vor, auf Basis einer "geschürten Angst vor Bedrohung und Krieg" mit einer hohen Verschuldung die Probleme von morgen zu schaffen. Das sei "nicht das Agieren eines verantwortungsvollen künftigen Kanzlers, sondern eines politischen Hasardeurs", fuhr Pellmann fort.

Da die Schuldenbremse - also die Begrenzung der Nettokreditaufnahme des Bundes auf bisher 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - im Grundgesetz festgeschrieben ist, muss sowohl der Bundestag als auch die Länderkammer, der Bundesrat, mit einer Zweidrittelmehrheit einer Reform zustimmen.

CDU/CSU, SPD und Grüne hatten befürchtet, im neuen Bundestag, der in einer Woche erstmals zusammentritt, könnten die Änderungen am Quorum scheitern - weil sie gemeinsam weniger als zwei Drittel der Mandate haben werden. Deshalb wurde die Abstimmung vorgezogen. Eilanträge von AfD, FDP, Linkspartei und BSW hiergegen hatte das Bundesverfassungsgericht am Montagabend verworfen.

Weitreichende Zugeständnisse an die Grünen

Die Grünen hatten im Vorfeld nach erheblichem Entgegenkommen durch die Union signalisiert, sich den Plänen anzuschließen. Sie konnten durchsetzen, dass 100 Milliarden des Investitionsvolumens für Klimaschutz und den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft eingesetzt werden - das Geld fließt dazu in den bestehenden Klima- und Transformationsfonds (KTF).

An einem Eingang der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes steht der Schriftzug des Geheimdienstes
Im Dienste der "Verteidigung": Nach dem weitgefassten Begriff des Schuldenpakets sind auch Ausgaben für die Geheimdienste abgedecktBild: Christophe Gateau/dpa/picture alliance

Ebenso wurde festgeschrieben, dass tatsächlich neue Investitionen finanziert und keine geplanten Vorhaben aus dem Kernhaushalt ausgelagert werden. Verteidigungsausgaben sind fortan oberhalb von einem Prozent der Wirtschaftsleistung von den Schuldenregeln ausgenommen. Der Begriff "Verteidigung" wurde dabei auf Druck der Grünen sehr weit gefasst; er schließt nun auch Cybersicherheit, Zivil- und Bevölkerungsschutz und die Arbeit der Geheimdienste ein.

Die grundsätzliche Einigung war bereits am Freitag zustande gekommen. Allerdings waren in allen Fraktionen, die mehrheitlich mit Ja stimmten, Abweichler aufgetreten, die eine Verweigerung angekündigt hatten. Zudem waren einige Parlamentarier erkrankt. Rechnerisch hatten CDU, CSU, SPD und Grüne einen Puffer von 31 Stimmen.

jj/se (dpa, afp, rtr, bundestag.de)